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Vertrauen in die Verwaltung zurückgewinnen: Mit weniger mehr erreichen

Frank Jacobsen
17. Juni 2025

Fachkräftemangel und demografischer Wandel setzen die öffentliche Verwaltung unter Druck – gleichzeitig steigen die Erwartungen an Service, Tempo und Effizienz. Welche Wege können zu einer zukunftsfähigen Verwaltung führen?

Die öffentliche Verwaltung befindet sich an einem Wendepunkt. Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel stellen sie vor neue Herausforderungen: Rund 570.000 Stellen sind unbesetzt, und die Tendenz ist steigend. Gleichzeitig erwarten Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft eine moderne, leistungsfähige Verwaltung. Der Ruf nach Vereinfachung und Effizienzsteigerung wird lauter. Wie kann der Staat mit weniger Personal mehr leisten und das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen? Dieser Artikel beleuchtet zentrale Trends und Lösungsansätze, um einem drohenden „Kollaps der öffentlichen Verwaltung“ entgegenzuwirken.

Vertrauen durch Verwaltungsmodernisierung zurückgewinnen

Seit Jahren schwindet das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit und Lösungskompetenz des Staates. Die neue Regierung will gegensteuern und hat sich das Ziel gesetzt, einen handlungsfähigen Staat zu schaffen. Durch eine „grundlegende Modernisierung, Verwaltungsreform, einen umfassenden Rückbau der Bürokratie, Ziel- und Wirkungsorientierung“ soll der Staat „effizienter als bisher“ werden, so der Wortlaut im Koalitionsvertrag.

In einer kürzlich veröffentlichten Publikation haben auch wir gezeigt, wie Bürokratie pragmatisch abgebaut werden kann. Digital, vereinfacht, fokussiert, harmonisiert und modern – das Ziel ist eine Verwaltung, die durch digitale Lösungen und vereinfachte Prozesse effizienter und bürgernäher wird.

Der eGovernment MONITOR 2024 bestätigt dies: Jeder Zweite hätte mehr Vertrauen in den Staat, wenn staatliche Angebote einfach digital nutzbar wären. Zudem zeigt sich, dass Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltung Fortschritte gemacht hat, so der Capgemini eGovernment Benchmark Report 2024. Allerdings reicht es nicht aus, Bestehendes einfach zu digitalisieren. Vielmehr braucht es eine konsequente Neugestaltung der Prozesse mit echtem Mehrwert für Bürgerinnen und Bürger sowie für Unternehmen.

Zukunftsfähige Verwaltung durch innovative Technologien

Um dies zu erreichen, muss der öffentliche Sektor disruptive Veränderungen anstoßen. Ein „Weiter so“ wird nicht mehr ausreichen. Stattdessen müssen neue Ansätze und Technologien integriert werden, die schnellere Anpassungen und Problemlösungen ermöglichen. Die Herausforderung besteht heute darin, „mit weniger mehr zu erreichen” und gleichzeitig die Qualität zu steigern.

Erstens müssen hierfür die vorhandenen Ressourcen für die Digitalisierung der Verwaltung konsequent gebündelt werden. Die Zentralisierung digitaler Services und das Prinzip der Wiederverwendung werden damit zu zentralen Bestandteilen der Transformation. Die Einrichtung des Digitalministeriums auf Bundesebene ist in diesem Sinne ein großer Schritt in die richtige Richtung.

Zweitens ist es notwendig, die Modernisierung der Verwaltung konsequent arbeitsteilig zu gestalten. Die Cloud ermöglicht durch Shared Responsibility eine effiziente Arbeitsteilung, reduziert den Verwaltungsaufwand durch Automatisierung und vernetzte Software-Schnittstellen und bietet eine bedarfsgerechte Skalierbarkeit.

Drittens muss der öffentliche Sektor verstärkt auf innovative Technologien wie generative künstliche Intelligenz (KI) setzen, um die Effizienz zu steigern und mit begrenzten Ressourcen mehr zu erreichen.

Letztlich gilt es, einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der die Neugestaltung von Prozessen und die Digitalisierung von Fachanwendungen durch den gezielten Einsatz von Cloud-Technologien und KI umfasst.

1. Das Prinzip „Einer für alle“ neu denken

Ein notwendiger Schritt zur Vereinfachung ist, die Wiederverwendung von digitalen Lösungen konsequenter umzusetzen.

Das im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bereits als Ziel formulierte Prinzip „Einer für alle“ (EfA) hat bislang nicht dazu geführt, dass einheitlichere IT-Infrastrukturen entwickelt wurden und die Lösungen auf gemeinsamen IT-Basiskomponenten basieren. Durch fehlende Interoperabilität können die entstandenen Lösungen nicht flächendeckend ausgerollt werden und den bestehenden Flickenteppich nicht reduzieren – trotz des Aufwands und der erheblichen Ressourcen, die in die Entwicklung von EfA-Diensten geflossen sind.

Zentralisierung und Standardisierung fördern

Statt wie bisher das Rad häufig neu zu erfinden, muss das EfA-Prinzip dahingehend weiterentwickelt werden, eine stärkere Zentralisierung zu fördern, die eine konsequente bundesweite Nutzung von zentralen IT-Services vorantreibt. Im Sinne von „Einer betreibt für Alle“müssen Wiederverwendung und Zentralisierung zusammen gedacht werden, um Parallelentwicklungen zu vermeiden. Anstatt auf allen Verwaltungsebenen individuelle Lösungen zu entwickeln und diese lokal zu betreiben, muss stärker in Cloud-Services gedacht und zentrale IT-Services zur Verfügung gestellt werden, die möglichst einfach über cloudbasierte Plattformen bezogen und genutzt werden können.

Für eine erfolgreiche Umsetzung bedarf es zum einen einer föderalen, einheitlichen IT-Architektur, die auf gemeinsamen Standards, Komponenten und Schnittstellen basiert. So können die Interoperabilität zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen gewährleistet und digitale Lösungen effizient und nachhaltig genutzt werden.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung könnte die geplante Reform des Grundgesetzes sein, die im Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung festgehalten ist. Die Reform sieht vor, dass der Bund „digitale Verwaltungsverfahren und Standards regeln und IT-Systeme errichten, betreiben und zur Mitnutzung zur Verfügung stellen kann“ (S.59 KoaV). Dies würde die rechtlichen Hürden für die gemeinsame Nutzung von IT-Systemen durch Bund, Länder und Kommunen erheblich reduzieren und den Weg für eine zentralisierte IT-Infrastruktur ebnen.

Zum anderen braucht es eine engere Zusammenarbeit nicht nur zwischen den Behörden, sondern auch mit der Privatwirtschaft und den Willen, etwas Gemeinsames und Zentrales aufzubauen.

Das neue Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung wird eine zentrale Rolle dabei spielen, digitalpolitische Querschnittsthemen zu bündeln und strategisch voranzutreiben. Durch eine missionsorientierte, ressortübergreifende Strategie und dem „Whole of Government-Ansatz“ wird es die interministerielle Zusammenarbeit stärken – und könnte als wichtiger Ansprechpartner für die Digitalwirtschaft und Start-ups fungieren.

Eine wichtige Plattform für diese Zusammenarbeit ist der GovTech Campus in Berlin, der bereits länder- und bereichsübergreifend Akteure vernetzt. Dieser könnte künftig noch gezielter für die Entwicklung und Standardisierung interoperabler Lösungen genutzt werden. So könnten digitale Plattformen gleich von Anfang an auf einheitliche Standards und Schnittstellen ausgerichtet werden, um auf verschiedenen Ebenen miteinander kompatibel zu sein.

2. Die Cloud als ein Wegbereiter der digitalen Verwaltung

Bereits in den letzten Jahren hat die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung den Einsatz von Cloud-Technologien als Wegbereiter in den Fokus gerückt – und wird es auch weiterhin tun: Denn sie ermöglicht erst eine kostengünstige Skalierbarkeit von innovativen Technologien wie der (generativen) künstlichen Intelligenz. Die Cloud ist daher nicht nur ein Nice-to-have, sondern ein unverzichtbarer Enabler, der dabei unterstützt die erforderlichen Infrastrukturen für die digitale Verwaltung zu schaffen.

Sie bietet die Möglichkeit, bestehende Lösungen einfach nachzunutzen, Verwaltungsebenen zu vernetzen und Prozesse automatisch zu skalieren. Darüber hinaus beschleunigt die Cloud die Entwicklungszeiten und stellt sicher, dass hohe Sicherheitsstandards eingehalten werden. Im Gegensatz zu Legacy-Verwaltungssystemen, die oftmals isoliert und ineffizient agieren, ermöglicht die Cloud die Integration neuer, agiler Lösungen, die anpassbar und skalierbar sind.

Die eigentliche Herausforderung liegt jedoch nicht nur in der Bereitstellung der Infrastruktur. Vielmehr besteht die Kernaufgabe darin, zu klären, wie die Cloud die Nutzung und insbesondere die Modernisierung von Fachanwendungen unterstützt, die für die öffentliche Verwaltung unverzichtbar sind. Die Multi-Cloud-Studie von Wegweiser Research & Strategy und Capgemini unterstreicht: Ohne Public Cloud lassen sich weder moderne Fachverfahren noch der Einsatz von KI sinnvoll realisieren. Es bedarf eines Umdenkens vom „Weiter so wie bisher“ zum „Lass uns etwas Neues machen“.

Cloud-native Infrastrukturen und Plattformansätze tragen dazu bei, die Wertschöpfungstiefe zu reduzieren. Dadurch kann sich die öffentliche Verwaltung stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: den inhaltlichen, fachspezifischen Teil der Verwaltungsprozesse, also die Fachanwendungen. Die Cloud entlastet die Verwaltung und gestaltet digitale Dienstleistungen effizienter und nachhaltiger, wovon Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen und Organisationen unmittelbar profitieren.

Die wachsende Bedeutung von KI im öffentlichen Sektor unterstreicht die Notwendigkeit dieses Wandels. Das wahre Potenzial liegt in der Schaffung eines echten Ökosystems, in dem KI-Anwendungen cloudbasiert entwickelt und betrieben werden. Dadurch können diese Anwendungen nach einheitlichen Standards auf allen föderalen Ebenen eingesetzt und in ein API-basiertes System zur Nachnutzung integriert werden – ganz im Sinne von „Einer für alle“.

3. Generative KI und Cloud als Katalysator für EfA

KI und generative KI werden eine entscheidende Rolle dabei spielen, eine automatisierte und nutzerzentrierte Verwaltung zu realisieren. Von der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in der Verwaltung, über Ermittlungsassistenten für Sicherheitsbehörden bis hin zu KI-gestützten Entscheidungsunterstützungssystemen im Gesundheitswesen – der Mehrwert von KI im öffentlichen Sektor ist enorm und teilweise bereits spürbar.

Durch die Integration von KI in Fachanwendungen können bestehende Prozesse weiter optimiert und die Entwicklung neuer, innovativer Lösungen vorangetrieben werden. Die Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen (NRW) beispielsweise suchte nach einer intelligenten Lösung, um effizienteres Arbeiten zu ermöglichen und den 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern des Bundeslandes den bestmöglichen Service zu bieten. Gemeinsam mit dem Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW) hat Capgemini den NRW.Genius KI-Verwaltungsassistenten entwickelt, um zeitaufwändige Aufgaben zu beschleunigen und so eine schnellere Bearbeitung von Antragsverfahren zu ermöglichen.

KI-Assistenten wie der NRW.Genius ebnen perspektivisch den Weg zu einer proaktiveren Verwaltung durch den Einsatz sogenannter KI-Agenten (Agentic AI). Darunter versteht man Software-Anwendungen, die mithilfe von KI Aufgaben selbstständig verstehen, planen und ausführen können. Diese KI-Agenten werden nicht nur dazu beitragen, die Arbeitsbelastung des Verwaltungspersonals durch die Automatisierung von Routineaufgaben zu verringern, sondern sie bieten auch die Möglichkeit Verwaltungsprozesse neu zu gestalten. Wo heute in Antragsverfahren noch lange Wartezeiten durch manuelle Vollständigkeitsprüfungen und Nachforderungen entstehen, könnten KI-Agenten zukünftig bereits beim Hochladen von Dokumenten aktiv werden. Sie unterstützen die Bürgerinnen und Bürger proaktiv, indem sie auf fehlende oder inkonsistente Unterlagen hinweisen, noch bevor die eigentliche Sachbearbeitung beginnt.

So kann die Verwaltung zukünftig schneller und effizienter auf individuelle Anliegen reagieren. Idealerweise wird eine weitgehend automatisierte Dunkelverarbeitung möglich, bei der Routineaufgaben ohne direkten Eingriff der Sachbearbeitung erledigt werden. Das Verwaltungspersonal konzentriert sich auf den gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum und bleibt in dem von der KI vorbereiteten Vorgang die Entscheidungsinstanz. Derzeit haben bereits 91 Prozent der Akteure im öffentlichen Sektor generative KI implementiert, Pilotprojekte gestartet oder begonnen, das Potenzial in ihrer Kundeninteraktion auszuloten. Entscheidend ist dabei die richtige Balance zwischen Automatisierung und menschlicher Kontrolle. Eine verantwortungsvolle Implementierung setzt auf transparente, nachvollziehbare Prozesse, die durch rechtliche Rahmenbedingungen abgesichert sind.

Technologie und Vertrauen sind der Schlüssel

Ein ganzheitlicher Ansatz aus Cloud, generativer KI und dem EfA-Prinzip ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltung und wird noch stärker in den Fokus rücken. Die Cloud stellt die notwendige Basis bereit und ist gleichzeitig der Enabler für den Einsatz von KI. Generative KI wird als Beschleuniger wirken, um Fachanwendungen zentralisiert, automatisiert und intelligent neu- und weiterzuentwickeln und ermöglicht es, Lösungen über mehrere Behörden und Verwaltungsebenen hinweg zu nutzen. Dies wiederum führt zu einer höheren Nachnutzung im Sinne des EfA-Prinzips.

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist jedoch nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle Herausforderung. Sie erfordert Offenheit, Dialog und den Mut, alte Strukturen zu hinterfragen und neue Wege zu gehen. Die Integration von Cloud-Technologien und KI bietet eine einzigartige Chance, die Effizienz und Bürgernähe der Verwaltung zu verbessern. Ebenso wichtig ist aber auch, diese Technologien verantwortungsvoll und transparent einzusetzen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen.

Vielen Dank an meine Co-Autorinnen und Co-Autoren Dalia Benitez-Fiehe, Andreas Antic und Maximilian Kälbert für ihre wertvollen Beiträge.

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Autor

Frank Jacobsen

Vice President, Head of Public Sector & Healthcare Germany
Frank Jacobsen leitet als Vice President den Bereich Public Sector & Health von Capgemini in Deutschland. Zu seinem Verantwortungsbereich gehören die Kunden der öffentlichen Verwaltung, der inneren und äußeren Sicherheit, des Gesundheitswesens und der Sozialversicherung. Die Tätigkeitsschwerpunkte liegen dabei in der Modernisierung und Erstellung von Fachverfahren, dem Data Driven Government sowie der Cloud-Transformation.