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Kreislaufwirtschaft beim Auto-Bau – wie sich Nachhaltigkeit in komplexe Prozesse integrieren lässt

Elias Zipfel
01. Juli 2025

Kreislaufwirtschaft ist alternativlos. Rohstoffe werden geologisch und geopolitisch weniger verfügbar, der Wettbewerb wird schärfer und die Preise steigen. Zudem fehlen Alternativen für viele wichtige Ressourcen und die sozialen und ökologischen Auswirkungen gängiger Rohstoffnutzung sind teils gravierend.

Im Zuge dessen legen die Europäische Union (EU), die Vereinten Nationen (UN) oder die Internationale Organisation für Normung (ISO) ökologische Nachhaltigkeitsziele und -vorschriften fest und treiben so den Wandel zu einer Kreislaufwirtschaft voran. Das hat Auswirkungen auf viele europäische Sektoren, allen voran auf die Automobilbranche. An Bedeutung gewinnen hier speziell Fahrzeugaufbereiter, als Verantwortliche für das Ende des Lebenszyklus von Fahrzeugen (End of Lifecycle, EoL).

Autos, bei deren Konstruktion bewusst auf Zugänglichkeit geachtet wurde – mit leicht abnehmbaren Verkleidungen, klarer Beschriftung und einfachen Demontageverfahren – erleichtern den Fahrzeugaufbereitern ihre Arbeit. Es bleibt jedoch eine Herausforderung, die neuen Umweltanforderungen in die komplexen Prozesse der Autobranche zu integrieren. Denn Autos müssen vielseitige Anforderungen erfüllen. Es muss abgewogen werden zwischen vielen Aspekten:

  • Nachhaltigkeit
  • Entwicklungs- und Produktionskosten
  • Kundenerwartungen, z. B. Farbechtheit oder haptische Qualität
  • Und viele weitere.

All das bringt technische Komplexität und teils konkurrierende Leistungsmerkmale mit sich. Das unter einen Hut zu bringen und zudem Kreislauffähigkeit zu erfüllen ist kompliziert.

Nachhaltigkeit muss in das „Systems Engineering Framework“ integriert werden

Einer der wichtigsten Schritte, um Kreislauffähigkeit zu erfüllen: Nachhaltigkeit muss in den übergeordneten Produktentstehungsprozess integriert werden, durch das sog. „Systems Engineering Framework“. In diesem Framework werden die komplexen Schritte von Entwurf bis Produktion eines Fahrzeugs dargestellt.

Alle Stakeholder-Anforderungen werden darin übersetzt in verständliche, messbare Anforderungen (z. B. KPIs). Wichtig ist ein interdisziplinäres Verständnis, d. h. Verantwortliche für Nachhaltigkeit müssen verstehen, welche Anforderungen Verantwortliche für Kosten oder Produktqualität haben – und umgekehrt. In Zusammenarbeit wird eine Systemarchitektur kreiert. Dank dieser Systemarchitektur sehen alle, welche Anforderungen bestehen und mit wem dafür Zusammenspiel notwendig ist.

Dieser iterative Ansatz erstreckt sich von der höchsten Systemebene („Fahrzeug“) bis hinunter zu den Subsystemen (z. B. „Batterie“) und den Komponenten (z. B. „Batteriezelle“ oder „Befestigung“). Abbildung 1 veranschaulicht die Schritte des Anforderungsmanagements in einem vereinfachten Flussdiagramm. Die Prozesse müssen in der Regel auf den Teilsystemebenen mehrfach wiederholt werden.

Abbildung 1: Prozesse zur Verwaltung von Anforderungen im Systems Engineering Framework (ähnlich wie beim Referenz-Modell des Verbands der Automobilindustrie, ASPICE, ab S. 143). Quelle: Capgemini.

Beispiel: E-Auto

Wie können nun Umweltanforderungen in den Entwicklungsprozess integriert werden? Das lässt sich am Beispiel E-Auto zeigen. Für die Entwicklung eines batterieelektrischen Fahrzeugs (BEV) ergibt sich eine mehrstufige Systemhierarchie, die in Abbildung 2 dargestellt ist. Diese Hierarchie veranschaulicht die Zerlegung des Gesamtsystems „Fahrzeug“ in Teilsysteme bis hin zu einzelnen Komponenten wie „Batteriezellen“. Abbildung 2 stellt dabei nur einen Teil der Hierarchie dar, da die komplette Hierarchie zu umfangreich wäre, um sie darzustellen.

Abbildung 2: Teil einer mehrstufigen Systemhierarchie eines BEV. Quelle: Capgemini.

Auf den jeweiligen Stufen – von Fahrzeug bis Komponenten – ergeben sich verschiedene Anforderungen, die gegebenenfalls verlinken zu relevanten tieferen Ebenen. In Textform sieht das so aus:

Stufe 1 (Fahrzeug)

——- Stakeholder-Anforderungen ——-

“Als Gesetzgeber (EU) möchte ich, dass das Fahrzeug aus wiederverwendbaren Elementen (Artikel 7) besteht”

“Als Fahrzeugaufbereiter möchte ich leicht auf wiederverwendbare Elemente mit hohem wirtschaftlichem Restwert am EoL zugreifen können.”

——-System-Anforderungen——-

“Das Fahrzeug muss eine Wiederverwendungsrate (EU-Definition) aufweisen, die höher ist als [*] %”

“Das Fahrzeug muss so zerlegt werden können, dass die Verwertung des Restwerts am EoL mit mehr als [*] €/Minute möglich ist.”

——- Architektur/Link zur nächsten Systemebene ——-

Das Energy Storage System als Teil der Fahrzeugarchitektur kann wesentlich dazu beitragen, die beiden genannten Systemanforderungen zu erfüllen. Es besteht aus Elementen, die wirtschaftlich sehr wertvoll und ökologisch wichtig für die Wiederverwendung sind. Daher ist es logisch, dass das Teilsystem „Energy Storage System“ zur Erfüllung der definierten Systemanforderungen beitragen muss.

Stufe 2 (Energy Storage System)

Das „Battery Pack“ als Teilsystem des Energy Storage Systems muss zur Erfüllung der definierten Anforderungen beitragen.

Stufe 3 (Battery Pack)

——-Stakeholder-Anforderungen——-

“Als Gesetzgeber (EU) möchte ich einen Nachweis haben, der bestätigt, dass das Battery Pack nach der Aufbereitung für die Wiederverwendung die geforderte Leistung erbringen kann (Artikel 73), so dass es nicht mehr als Abfall betrachtet wird.”

“Als Gesetzgeber (EU) möchte ich, dass die Fahrzeugaufbereiter, die die Wiederverwendung vorbereiten, Informationen über die Demontageverfahren (Artikel 74, 3a) erhalten, damit die eingebauten Batteriepacks entfernt werden können.”

“Als Fahrzeugaufbereiter möchte ich das Battery Pack so einfach wie möglich zerlegen.”

——-System-Anforderungen——-

Abgeleitet aus den Anforderungen der Stakeholder auf dieser Ebene und den System-Anforderungen auf höheren System-Ebenen:

“Das Battery Pack muss eine Wiederverwendungsrate von mehr als [*] % haben.”

“Das Battery Pack muss am EoL in weniger als [*] Minuten zerlegt werden können.”

“Das Battery Pack muss die Bewertung der verbleibenden Leistung bei EoL ermöglichen.”

“Das Battery Pack muss für die Wiederverwendung am EoL vorbereitet werden können.”

——- Architektur/Link zur nächsten Systemebene ——-

Die Batteriezellen und andere Komponenten, wie z. B. Befestigungs- und Verbindungselemente, aus denen der Batteriesatz besteht, müssen eindeutig spezifiziert werden, um die Einhaltung der aufgeführten Anforderungen zu gewährleisten.

Stufe 4 (Komponenten):

usw.

Mit einer solchen eindeutigen Hierarchie lassen sich notwendige Analysen auf allen Ebenen durchführen. Um verlässlich zu überprüfen, ob Anforderungen an Nachhaltigkeit erfüllt werden, gibt es Standard-Methoden, zum Beispiel die Lebenszyklusanalyse (Life Cycle Assessement, LCA) oder die Materialflussanalyse (Material Flow Analysis, MFA). Im Beispiel „E-Auto“ kann beispielsweise MFA eingesetzt werden, um zu beurteilen, ob die erforderlichen Wiederverwendungsraten erreicht werden.

Diese Analyse muss auf jeder Ebene durchgeführt werden, und wird dann jeweils in die obere Ebene integriert, s. Abbildung 3. Das führt zu einer umfassenden Bewertung des gesamten Fahrzeugs.

Abbildung 3: Analysen auf unteren Ebenen werden wieder in die obere Ebene integriert und ergeben in Summe eine vollständige Bewertung. Quelle: Capgemini.

Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil

Die Rohstoffpreise steigen, Lieferketten werden unsicherer und Kunden, Analysten und Nichtregierungsorganisationen machen Druck. Das lineare Wirtschaftsmodell von “Nehmen – Produzieren – Konsumieren – Entsorgen” scheint zunehmend unhaltbar. Das ist für die Autobranche – neben Themen wie Gen AI und Softwareisierung – eines der akutesten Themen.

Bei all dem sind Unternehmen nicht auf sich allein gestellt. Spezielle Tools – beispielsweise Cameo Systems Modeler von Dassault Systèmes oder Codebeamer von PTC – erleichtern es, die vielen Anforderungen beim Auto-Bau systematisch zu erfassen, zu organisieren und zu verwalten. Zudem können Unternehmen mit den richtigen Partnern und einer belastbaren Strategie den Weg in Richtung intelligenter Industrie gehen. Dabei wird nicht nur Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil, sondern es entstehen ganzheitlich gedachte Lösungen, die von Ende-zu-Ende konzipiert sind und die vernetzte Wertschöpfungsketten auf resiliente Beine stellen.

Co-Autor: Alexander Sorgenicht

Sie wollen mehr erfahren oder einen konkreten Fall besprechen? Dann laden wir Sie ein, unser Team an Expert*innen zu besuchen auf der IAA Mobility 2025 oder dem Future Battery Forum 2025.

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Autor

Elias Zipfel

Project Manager Sustainability
Mit umfangreicher Erfahrung im Projektmanagement der Automobilindustrie konzentriert sich Elias auf die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks entlang der Lieferkette. Versiert in LCA-Methoden und -Software, setzt er nachhaltige Strategien zur Optimierung der Umweltleistung in Fertigungsprozessen um.

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