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Die Energiekrise, der Ukraine-Krieg sowie Teile- und Rohstoffmangel drängen das Thema Nachhaltigkeit in den Hintergrund.

Jetzt sollen erst einmal Lieferketten stabilisiert werden. Aber ist es nicht möglich, beide Ziele zu erreichen? Und was würde die Branche dafür benötigen?

Die Industrie in Deutschland hat laut Klimaschutzbericht der Bundesregierung 2021 ca. 181 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Das sind neun Millionen Tonnen (5 Prozent) mehr als 2020, weil in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie viele Unternehmen zeitweise nicht produzieren konnten, und zwei Millionen Tonnen weniger als 2019. Dem Ziel, die Emissionen deutlich zu reduzieren, ist die Branche in den letzten beiden Jahren also kaum nähergekommen.

Laut der internationalen Capgemini-Studie „Advancing through headwinds: Where are Organizations investing?”wollen jetzt 28 Prozent der Unternehmen weltweit die Investitionen in Nachhaltigkeit reduzieren. Ganz vorn mit dabei ist das produzierende Gewerbe. Stattdessen sollen die Investitionen in dynamische, flexible und resiliente Lieferketten fließen. Die Frage, die mir dabei durch den Kopf geht, ist: Geht nicht beides gleichzeitig, Klimaschutz-Initiativen voranbringen und Lieferketten robuster gestalten? Und was würde das produzierende Gewerbe dafür brauchen?

Datenströme machen Lieferketten und Emissionen transparent

Um die Störungen der Lieferkette zu reduzieren, werden derzeit vor allem Produktionsstätten in die Nähe der Abnehmer verlagert, für die eigene Produktion Lieferanten vor Ort gesucht und Produktionsstandorte geografisch diversifiziert. Kürzere Transportwege werden auch dem Klimaschutz zugutekommen, aber um teilweise ja sehr komplexe Lieferketten, sei es regional oder international, robuster zu gestalten, müssen sie transparent sein. Die Partner müssen permanent Informationen austauschen, damit bei Störungen schnell Alternativen gefunden werden können.

Das Gleiche gilt für den Klimaschutz, denn für die Ermittlung aller Emissionen eines Produktes brauchen Hersteller Informationen über die Inhaltsstoffe, die Herstellung der Vorprodukte, den Transport, die Nutzung, das Recycling oder die Entsorgung. Der Datenaustausch erfordert neue Plattformen und Menschen, die sie aufbauen und mit den Informationen und technischen Systemen umgehen können.

Altersstruktur und Fachkräftemangel werden Organisationen verändern

Aber genau die werden aufgrund des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels immer rarer: Laut der IT-Trends-Studie 2022 klagen fast 60 Prozent der befragten CIOs über einen großen oder sehr großen Fachkräftemangel und es wird erwartet, dass dieser in den nächsten Jahren noch steigen wird.  

Daraus ergibt sich die Frage, wer Services vernetzen, Abläufe und Steuerungen mit Intelligenz ausstatten und dafür sorgen soll, dass technische Systeme interoperabel sind. Für die Umsetzung der Intelligent Industry, der nächsten Ära der digitalen Transformation, werden IT-Fachleute und Ingenieure benötigt, die moderne Technik und Naturwissenschaften beherrschen und sich mit Daten, Analysen und künstlicher Intelligenz auskennen. Doch die sind derzeit rar und heiß begehrt. Dementsprechend wird die Lücke, die durch den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel entsteht, nicht allein mit jungen Spezialisten geschlossen werden können.

Eine Alternative ist, bestimmte IT- und Engineering-Dienstleistungen in andere Länder in Osteuropa, Nordafrika, Asien oder Südamerika zu verlagern. Aber auch dafür benötigen Unternehmen Projektleitende vor Ort, die das Unternehmen, die Produkte und Abläufe kennen und die Vorhaben koordinieren, steuern und überwachen.

Deshalb sollten sich Unternehmen viel mehr auf den Schatz an Talenten konzentrieren, den sie schon haben. Durch Re- und Upskilling-Maßnahmen kann man das Potenzial der eigenen Organisation nutzen oder sogar erweitern und gleichzeitig Kosten sparen. Laut der Publikation Conversations for Tomorrow des Capgemini Research Institute können Unternehmen mit 50.000 Mitarbeitenden durch Upskilling innerhalb von drei Jahren 278 Millionen Dollar einsparen – im Vergleich zu Unternehmen, die ihre Belegschaft noch nicht in größerem Umfang weiterbilden[1].

Erfahrung und Mindset sind oft wertvoller als technologisches Spezial-Know-how

Als Beispiel könnten sich Unternehmen vor allem auf ältere Mitarbeitende aus technischen Bereichen mit Weiterbildungen konzentrieren. Weil sie schon viele Jahre im Geschäft sind wissen viele von diesen erfahrenen Mitarbeitenden, wie IT- und OT-Projekte erfolgreich umgesetzt werden können.

Diese Art von Talent-Management würde auch ermöglichen, junge Mitarbeitende im Tandem oder Team mit erfahrenen Projektleitenden arbeiten zu lassen. In solch einem Setup könnten beide vom anderen lernen und die jeweils fehlenden Skills wie agile Methoden, Data Science, Projektleitung sowie Wissen über das Unternehmen, den Zielmarkt und die Produkte kompensieren. Und dann hätte die Industrie wirklich die Chance, in den kommenden Jahren die Emissionen deutlich zu reduzieren, auf dem Weg dorthin neue Geschäftsmodelle zu etablieren, die Kosten zu senken und die Organisation robuster und nachhaltiger zu machen.

Also – schalten Sie 2023 um von Problembewältigung auf Lösungsentwicklung und schöpfen Sie das Potenzial aus, das Ihr Unternehmen hat: Ihre Daten in Kombination mit Ihren Talenten – als eine Voraussetzung für die Intelligente Industrie. 

Vielen Dank an den Co-Autoren Paul Korte.


[1] Conversations for Tomorrow #6, S. 190

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Autor

Jochen Bechtold

Managing Director von Capgemini Engineering in Deutschland
Zusammen mit dem Capgemini Engineering Team und der Power der Capgemini-Gruppe, ist es mein Ziel, die Vernetzung der physischen und digitalen Welt hin zur „Intelligent Industry“ weiter auszubauen und damit die Wertschöpfungsketten, Produkte und Services unserer Kunden noch vernetzter, datengesteuerter, intelligenter und nachhaltiger zu machen.

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