Zum Inhalt gehen

Kunden zu verstehen ist keine Magie – Aber es wird sich so anfühlen

Sebastian Marschall
18. Mai 2022
capgemini-invent

Seit der Marktliberalisierung in 1998 hat jeder zweite Haushaltskunde schon mindestens einmal seinen Stromversorger gewechselt. Energieversorgungsunternehmen (EVU) kämpfen zunehmend mit sowohl hohen Wechselraten als auch hohen Akquisekosten. Welche Rolle spielt hier Customer Relationship Management (CRM)?

Vor einigen Jahren war in der Energiebranche oft noch von „Bezügern“ die Rede, wenn die Kunden gemeint waren. Verbildlicht: Die Personen, die ganz am Ende der Wertschöpfung stehen. Eine intensive Kunden-Beziehung war nicht vorhanden. Heutzutage gibt es wohl kaum ein Stadtwerk oder einen Regionalversorger, der sich „Kundenzentrierung“ nicht als strategisches Ziel auf die Fahnen schreibt. Der Kunde soll im Mittelpunkt stehen, verstanden werden und in jeder Lebenssituation von dem EVU bestmöglich bedient werden. Mit Kundenzentrierung zu mehr Kundenbindung und damit zu mehr Umsatz lautet die Devise.

Hohe Wechselraten, insbesondere bei Neukunden

Kunden wechseln ihren Stromvertrag aus verschiedenen Gründen. Die „Bonushopper“, die „Umziehenden“, die „Unzufriedenen“ oder die „Preisanpassungsflüchtenden“ gehören nachweislich zu den häufigsten „Kündigungs-Personas“, welche zur Churn Rate eines Unternehmens beitragen. Diese liegt in Deutschland durchschnittlich bei 12% im Jahr 2020. Bei Neukunden sogar bis zu 30%. Angetrieben durch Internet-Discounter und Anbieter, wie Wechselpilot, werden diese Werte weiterhin in die Höhe getrieben.

Bestandskundenverhältnisse ausbauen und Neukunden scharf auswählen

Die Akquise neuer Kunden ist umkämpft, teuer und weniger nachhaltig. Energieversorger nehmen gemäß Capgemini Benchmark 60 bis 160 Euro in die Hand, um einen Kunden zu gewinnen. Für die Cost to Acquire (CTA) müssen Marketingkampagnenkosten, Personalkosten, Softwarekosten, zusätzliche professionelle Dienstleistungen, beispielsweise Design, und andere Gemeinkosten von Marketing und Vertrieb berücksichtigt werden. Dabei lohnt es sich die CTA pro Kampagne oder Kanal zu analysieren und die profitabelsten zu identifizieren. Doch nicht jeder Neukunde muss mit Kusshand aufgenommen werden. Zu vermeiden sind Rückwechsler und Mehrfachwechsel, wenn diese bei hohen CTA nur einen geringen Kundenwert (Customer Lifetime Value) mit sich bringen. Im Gegenzug weisen Bestandskunden deutlich höhere Margen und niedrigere Bindungskosten von durchschnittlich etwa 50 Euro auf. Um dem Teufelskreis der Churn Rate zu begegnen, gilt es also den Fokus auf das Halten und Ausbauen von Bestandskundenbeziehungen. Dabei muss man seine Kunden kennen, um attraktive Kundenerlebnisse zum richtigen Zeitpunkt zu genieren und Cross- und Upsell Potentiale zu heben.

Kundenspezifische Maßnahmen aus Kundendaten ableiten und unternehmensweit kundenzentriert agieren

Customer Relationship Management (CRM) steuert und verwaltet Kundendaten mit dem Ziel die Kundenbeziehung zu stärken und ein einmaliges Kundenerlebnis zu schaffen. Ganz spezifisch zentralisiert eine CRM-Plattform nicht nur verstreute Kundendaten an einem Ort. Vielmehr liegt der Nutzen in der intelligenten Anwendung dieses Datenschatzes. Dazu gehört es Daten an verschiedenen Kontaktpunkten zu erfassen, Erkenntnisse daraus zu generieren und wirkungsvolle Maßnahmen und Angebote zu gestalten. Hierbei ist essenziell, dass der Kunde mit einer 360°-Sicht immer im Fokus steht. Dies geschieht konsequent über alle Geschäftsbereiche hinweg: Marketing, E-Commerce, Vertrieb und Service.

Im Bereich Marketing ermöglicht CRM dem Kunden personalisierte Inhalte zur Verfügung zu stellen. So werden automatische Marketingkampagnen erstellt und zielgruppenspezifisch ausgespielt. Dies kann z.B. eine Willkommens-E-Mail oder -Postkarte an Neukunden oder ein Aktionsnewsletter sein, welche jeweils spezifische Inhalte in Bezug auf die Zielgruppe enthalten. Dadurch stärkt man die Kundenzufriedenheit und-bindung und damit nachweislich die Churn-Rate.

Mit E-Commerce Funktionalitäten kann die CRM-Plattform die Kunden z.B. durch einen unternehmenseigenen Onlineshop von Vergleichsportalen wegführen und damit den EVUs helfen, aus dem „Preiskampf“ der Vergleichsportale zu entkommen.

Der Vertrieb profitiert von der 360°-Sicht auf den Kunden. Durch die Erfassung und Verknüpfung bestimmter Kundenmerkmale kann das System vorhersagen, wenn ein Kunde besonders wechselwillig ist. Dementsprechend wird die CRM-Plattform als Aktion einen neuen Tarif vorgeschlagen, einen Sonderrabatt anbieten oder eine Kundenkontaktaufnahme empfehlen. Zudem kann durch sogenannte „Next Best Actions“ die Kundenbindung gesteigert werden, indem die intelligente CRM-Plattform den EVU-Mitarbeitern kundenspezifische Cross- und Upselling Potentiale, wie z.B. Zusatzpakete für Gas, Strom oder Elektromobilität, vorschlägt.

CRM wirkt im Bereich Service als Katalysator, um Kundenanfragen oder -beschwerden kundenorientiert, sorgfältig und schnell zu lösen. Hierbei wird der aktive Kundenkontakt genutzt, um die Beziehung zu stärken und Erkenntnisse über die Kunden zu gewinnen. Diese Erkenntnisse können anschließend wieder in Marketing- oder Vertriebsmaßnahmen genutzt werden. Zudem spielen Entwicklungen wie Self-Service, Chat-Bots und die Integration des Kunden in die Serviceprozesse eine wichtige Rolle um die Kosten zu senken. Außerdem wird der Kundenservice immer stärker als Profit-Center ausgeprägt, um diesen Kanal zur Umsatzgenerierung zu nutzen. Dabei ist eine CRM Applikation unabdingbar, um Kunden zu segmentieren, Cross- und Upsell Potentiale zu identifizieren, sie richtig zu routen und final auch dem Service-Agent die Unterstützung zu geben, um Zusatzprodukte und weiterführende Services zu verkaufen.

Den Markt erobern mit einer nahtlosenund exzellenten Customer Journey

Die „Magie“ der erfolgreichen Energieversorger liegt darin herausragende Kundenerlebnisse mit relevanten Produkten und Dienstleistungen, sowie einem exzellenten Kundenservice maßgeschneidert zu verknüpfen. Die Transformation dorthin wird durch einen kulturellen Wandel, sowie die Weiterentwicklung des Knowhows und der Fähigkeiten der Mitarbeiter im Kundenservice, Vertrieb und Marketing ergänzt. Lebensnotwendig ist hierbei eine moderne CRM-Plattform für Stadtwerke und Regionalversorger, um auch in Zukunft relevant zu sein. Durch die hohe Automatisierungsmöglichkeiten, die durch eine CRM-Plattform erzielt werden können, wirken die EVUs den Niedrigmargen und dem Wettbewerbsdruck entgegen. Während die Produktkomplexität bei Stadtwerken zunimmt, hilft ein integrierter „Next Best Offer“ Ansatz individuelle Bündelprodukte anzubieten und zu antizipieren, welches Angebot bei welchem Kunden wann am abschlusswahrscheinlichsten ist. Das angestrebte Ziel? Werthaltige und treue Kundenbeziehungen, niedrigere Abwanderungsquoten und höhere Unternehmenserträge.

Vielen Dank an die Co-Autoren Patrick Schumann, Franziska Hoock und Justus Scholz.

Autor

Sebastian Marschall

Senior Director I Intelligent Industry
Sebastian Marschall ist Director bei Capgemini Invent und unterstützt unsere Kunden bei der Realisierung von Wachstums- und Effizienzpotenzialen durch neue digitale Serviceportfolios und Geschäftsmodelle. Mit Hilfe unseres bewährten End-to-End-Ansatzes begleit er unsere Kunden von der Strategie über das Design bis hin zur Umsetzung und Go-2-Market.

    Blog-Updates per Mail?

    Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle zwei Monate eine Auswahl der besten Blogartikel.

    Weitere Blogposts

    Energie- und Versorgungswirtschaft, Energy & utilities

    Datengetriebene Energiewende durch Datenökosysteme

    Nabil Dawra
    18. Okt. 2023
    Energie- und Versorgungswirtschaft

    Auf die Energiewende folgt die Ressourcenwende

    Lukas Birn
    24. Nov. 2022