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Die Datengetriebene Energiewende:
Wie Datenökosysteme die nachhaltige Energieversorgung von morgen ermöglichen

Nabil Dawra
18.10.2023
capgemini-invent

Die Klimaschutzziele der europäischen Union verlangen die Klimaneutralität aller Mitgliedsstaaten bis zum Jahr 2050. Für die Energiebranche leitet sich mit der Energiewende daraus eine gewaltige Transformation ab, die weit über die bloße Substitution von fossiler mit erneuerbarer Energieerzeugung hinaus geht. Das zukünftige System einer klimaneutralen Energieversorgung unterscheidet sich grundlegend in seinem Aufbau und seiner Funktionsweise vom Status Quo.

DIE KOMPLEXITÄT DES ENERGIESYSTEMS NIMMT IM RAHMEN DER ENERGIEWENDE ZU

Neben offensichtlichen Unterschieden in den Bereichen Erzeugung, Transport, Speicherung und Verbrauch von Energie, sind die Unternehmen der Branche mit einem erheblichen Anstieg der Komplexität innerhalb des Energieversorgungssystems konfrontiert. Die Hauptreiber dieser Herausforderung sind:

  • Massiver Anstieg an Akteuren und Interaktionen im Energiesystem
    Konventionelle Großkraftwerke werden schrittweise durch eine Vielzahl an erneuerbaren Erzeugungsanlagen ersetzt. Diese sind oft kleinteiliger, speisen volatiler ein und sind dezentral verteilt. Gleichzeitig müssen mit der Elektrifizierung ganzer Sektoren, wie z.B. Mobilität und Wärme, Millionen neuer Verbraucher in das Energieversorgungssystem integriert werden. Um dabei die Versorgungssicherheit und einen stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten, müssen Flexibilitätspotenziale in Erzeugung, Verbrauch und Speicherung aller Akteure ausgenutzt werden. Die intelligente Koordination der miteinander agierenden Akteure geht mit einem starken Anstieg der Komplexität einher.
  • Anzahl und Diversität der Prozesse durch die neue Vielfalt an Produkten und Services
    Im Zuge der Energiewende verändern sich die Bedürfnisse der Verbraucher aufgrund deren Weiterentwicklung zu Prosumern (Produzent & Konsument) und einem veränderten Verbrauchsverhalten durch z.B. Elektroautos oder Wärmepumpen. Neben bezahlbarem und grünem Strom umfassen die Bedürfnisse der zunehmend heterogenen Endkunden nun auch Produkte und Services, die auf ihr jeweiliges Profil im Energiesystem zugeschnitten sind. Mit der wachsenden Anzahl und Diversität der Produkte, nimmt die Komplexität der dafür notwenigen Prozesse innerhalb der Unternehmen deutlich zu.
  • Notwendigkeit zur tiefgreifenden Effizienzoptimierung  
    Mit dem stark ansteigenden Verbrauch und der Volatilität erneuerbarer Energien, steht grüner Strom auch nach einer erfolgreichen Energiewende nicht im Überfluss zur Verfügung. Um der Nachfrage der Kunden nach günstiger Energie trotzdem begegnen zu können, muss diese maximal effizient eingesetzt werden. Dazu müssen alle Energiemarktteilnehmer wie Großabnehmer, Eigenerzeuger oder Speicherbetreiber in das Energiesystem von morgen miteinbezogen werden. Die präzise Abstimmung von Angebot und Nachfrage in Echtzeit bringt aufgrund der vielen Wechselwirkungen zusätzliche Komplexität mit ins Energiesystem.

INTELLIGENTE DATENÖKOSYSTEME SIND DIE ANTWORT AUF DIE GESTIEGENE KOMPLEXITÄT   

Der Schlüssel zur Bewältigung dieser gestiegenen Komplexität liegt in der Automatisierung und Optimierung des Energiesystems mit intelligenten Datenökosystemen. Grundlage dafür ist die ganzheitliche digitale Erfassung aller Erzeugungs-, Transport-, Speicherungs- und Verbrauchsprozesse in einem übergreifenden Datenökosystem. Dort werden viele dieser Prozesse mit Hilfe von intelligenten Anwendungen digitalisiert und automatisiert, wodurch sich sowohl die gestiegene Anzahl von interagierenden Akteuren als auch die Produkt- und Servicevielfalt als Komplexitätstreiber beherrschen lassen. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen können zusätzlich ganze Prozesslandschaften datengetrieben optimiert und so die Komplexität des Energiesystems weiter reduziert werden.

WAS GENAU IST EIN DATENÖKOSYSTEM?

Ein Datenökosystem ist ein zusammenhängendes Netzwerk aus Datenquellen, Plattforminfrastrukturen, Anwendungen und Nutzern. In dessen Grenzen werden Daten gemeinsam erzeugt, gespeichert und verarbeitet, um mit deren Analyse bekannte Potenziale auszuschöpfen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dies wird durch die einheitliche Verwendung von Standards und Richtlinien für datengetrieben Prozesse ermöglicht, auf welche die gemeinsamen Applikationen und Analysefähigkeiten ausgelegt sind. Die Größe eines Datenökosystems ist flexibel und kann einzelne Bereiche eines Unternehmens oder ganze Märkte umfassen. Es ist darauf ausgelegt sich weiterzuentwickeln und zu wachsen, beispielsweise durch die Eingliederung neuer Akteure oder die Kooperation mit verwandten Systemen. Dank einheitlicher Regeln ist eine vollumfängliche Kollaboration aller beteiligten Akteure möglich, die durch gemeinsame und umfassende Prozessoptimierung eine höhere Produktivität und stärkeres Wachstum aufweisen. Die vereinheitlichten Cyber Security-, Governance-, Datenschutz- und Resilienzmaßnahmen erhöhen zusätzlich die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit von Systemen und Daten.

WIE KANN EIN DATENÖKOSYSTEM DIE ENERGIEWENDE VORANTREIBEN?

Im Zuge der Energiewende verschmelzen die Bereiche Erzeugung, Transport, Speicherung und Verbrauch von Energie immer weiter zu einem hochkomplexen System mit starken gegenseitigen Abhängigkeiten. Datenökosysteme befähigen Unternehmen dieser Entwicklung zu folgen, indem sie die intelligente Verknüpfung der Bereiche durch einen effizienten Austausch an Informationen und Anwendungen in Form von Daten ermöglichen. In einem intelligentem Datenökosystem lassen sich die Steuerung, Optimierung und Koordination der klimaneutralen Energieversorgung vereinen. Diese datengetriebene Energiewende ist somit eine indirekte Voraussetzung für die klimaneutrale Energieversorgung von morgen. In diesem könnten unter anderem die folgenden Anwendungsfälle umgesetzt werden:

  • Genaue Überwachung und Steuerung des Energiesystems
    Datenökosystem ermöglichen eine Überwachung und Steuerung des Übertragungsnetzes in Echtzeit durch die Integration von Daten aus IoT-Geräten. Verbraucher, Erzeuger, Netz- und Speicherbetreiber können einfach kollaborieren und die Stabilität im Energiesystem erhöhen.
  • Erhöhte Anlageneffizienz
    Datenökosysteme erlauben unter Einbezug von Wetter- und Betriebsdaten eine optimierte Anlagensteuerung. Als Voraussetzung für virtuelle Kraftwerke, sorgen sie somit außerdem für einen effizienteren Energiefluss im Energiesystem.
  • Verbesserte Planung
    Datenökosysteme sammeln strukturiert die hochauflösenden Verbrauchsdaten durch Smart Meter. Mit deren Analyse werden bessere Prognosen erzielt und Schwachstellen im Versorgungssystem identifiziert.  
  • Geringere Kosten 
    Datenökosysteme lassen eine verbesserte Ausnutzung der Netz-Infrastruktur zu. Damit tragen sie zur Reduzierung von Redispatch-Maßnahmen zur Überbrückung von Netzengpässen bei.
  • Reduzierte Ausfallzeiten
    Datenökosysteme minimieren die Zwangsabschaltung bei Netzengpässen. Mit prädikativer Wartung ermöglichen sie eine weitere Reduktion der Ausfallzeiten von Erzeugungseinheiten.
  • Stärkere Kundenbindung
    Datenökosysteme sind die Grundlage für die Einbindung von Endkunden in Quartierslösungen und erlauben diesen eine stärkere Teilhabe am Energiemarkt.
  • Effizienterer Energiehandel
    Datenökosysteme erleichtern Entscheidungen durch präzise und vertrauenswürdige Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Sie ermöglichen sichere und effiziente Transaktionen im Energiehandel, z. B. durch den Einsatz der Blockchain-Technologie.

WELCHE HERAUSFORDERUNGEN GIBT ES FÜR DATENÖKOSYSTEME IN DER ENERGIEWENDE?

In der Energiebranche haben Unternehmen die Notwendigkeit an Datenökosystemen im Kontext der Energiewende erkannt und zeigen eine hohe Investitionsbereitschaft. Nach einer Studie von Capgemini planen zahlreiche Unternehmen ihre Aktivitäten in diesem Bereich zu verstärken. Von den befragten Unternehmen investieren…

  • 8% mehr als 100 Mio. USD
  • 13% zwischen 50 und 100 Mio. USD
  • 50% zwischen 10 und 50 Mio. USD
  • 29% weniger als 10 Mio. USD

… in Datenökosysteme in den nächsten zwei bis drei Jahren. 45% der befragten Unternehmen planen dazu von Grund auf neue Initiativen, während 47% bereits bestehende Initiativen ausbauen wollen. Allerdings ist ein Datenökosystem kein fertiges Produkt, das nach Belieben bei einem Anbieter eingekauft werden kann. Die Architektur mitsamt Prozessen, Anwendungen und Technologien muss sehr individuell auf das Unternehmen und dessen Geschäftsmodell, Kunden und Ressourcen abgestimmt werden. Dies erfordert ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit und IT-Expertise. Zwar lassen sich erste Anwendungsfälle vergleichsweise schnell umsetzen, doch kann der Aufbau eines unternehmensweiten Datenökosystems viel Zeit in Anspruch nehmen. Unsere umfangreiche Erfahrung zeigt, dass viele Unternehmen dabei auf ähnliche Herausforderungen und Fragestellungen stoßen. Diese lassen sich generell in folgende Kategorien unterteilen:

  • Digitale Strategie:
    Welche Geschäftsziele werden durch das Datenökosystem erreicht? Wie kann der monetäre Nutzen im Vergleich zu den getätigten Investitionen bewertet werden?
  • Fokussierung:
    Auf welche Technologien und Prozesse setzt man den Fokus? Was ist prioritär?
  • Interoperabilität:  
    In welchen Formaten und Protokollen liegen die Daten von Sensoren, Anlagen und Zähler vor? Wie werden diese IoT-Geräte im Detail in eine Plattform integriert?
  • Kollaboration:
    Mit welcher Architektur kann eine effiziente Verbindung der Daten ermöglicht werden? Wie können Daten effizient genutzt werden?
  • Datenqualität:
    Wie wird kontinuierlich eine angemessene Datenqualität sichergestellt? Wie geht man mit Inkonsistenzen oder fehlenden Daten um?
  • Sicherheit und Datenschutz:
    Wie wird die Konvergenz von IT- und OT-Systemen in einer kritischen Infrastruktur berücksichtigt? Welche Datenschutzmaßnahmen sind notwendig? Wie kann man Sicherheitsbedenken begegnen?
  • Kulturelle Veränderungen:
    Wie etabliert man eine datenfokussierte Denkweise in Unternehmen und wie geht man mit Inakzeptanz innerhalb der Belegschaft um?

Die erfolgreiche Beantwortung dieser Fragen bildet die Grundlage für einen effizienten und nachhaltigen Transformationsprozess. Durch den ambitionierten Zeitplan zur Klimaneutralität der europäischen Union stehen die Unternehmen jedoch unter erheblichen Zeitdruck. Damit die digitalen Voraussetzungen für eine datengetriebene Energiewende in Form von intelligenten Datenökosystemen rechtzeitig zur Verfügung stehen, sind daher pragmatisches Vorgehen und entschiedenes Handeln gefragt.  

Wenn Sie mehr über den Aufbau oder weitere Anwendungsfälle eines Datenökosystems im Energiesektor erfahren wollen, verpassen Sie nicht den nächsten Artikel unserer Reihe zur datengetriebenen Energiewende. Bei Interesse an einem konkreten Framework zur Umsetzung von intelligenten Datenökosystemen im Rahmen der Energiewende, wenden Sie sich gerne direkt an mich oder unsere Experten.

Vielen Dank an meinen Co-Autor Johannes Hirschberg

Autor

Nabil Dawra

Director | Energy Transition & Utilities, Capgemini Invent Germany
In Fragen der digitalen Transformation berate ich Unternehmen aus den Bereichen Energie, Versorgung und Mobilität. Als Experte für Plattformen, Daten und Analytics-Themen bei Capgemini Invent liegt mein Fokus auf der strategischen Ausrichtung, Innovation sowie der gezielten Steigerung von Leistung und Effizienz durch moderne Plattformtechnologien, IT-Architekturen und datengetriebene Ansätze

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