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Industriespezifische Referenzarchitektur – warum CIOs sie brauchen

Dr. Eldar Sultanow
28. Juli 2020

Seit jeher zahlen Referenzarchitekturen (RA) auf dieses Bedürfnis ein und liefern den Unternehmen eine konkrete Schablone für ihre ideale Architektur.

Die Referenzarchitektur bildet in der Regel Technologiebausteine, Anwendungen, Services, Daten(modelle), Geschäftsfähigkeiten und Prozesse ab und zeigt, wie diese Elemente miteinander in Beziehungen stehen. Solche Blaupausen existieren vornehmlich mit Blick auf bestimmte Technologiebereiche, Querschnittsanforderungen, Industrien oder Organisationen. Bekannt sind beispielsweise die SOA Reference Architecture und das Cloud Cube Model von der Open Group.

Seit kurzem zeigt sich aber ein neuer Trend: die industriespezifische Referenzarchitektur. Sie ist die zweitkonkreteste der vier Referenzarchitektur-Typen auf dem Architekturkontinuum (siehe Grafik). Zudem ist sie im Grunde eine Art Checkliste für die Modellierung der Unternehmensarchitektur. Noch deutlicher ist nur die organisationspezifische RA – der Maßanzug unter den Referenzarchitekturen. Die industriespezifische RA schafft eine strukturierte und kaskadierende Sicht auf die Unternehmensarchitektur, die typisch für die jeweilige Industrie ist. Einmal verfasst bietet sie der ganzen Branche ein Designprinzip, eine Richtlinie und bewährte Referenz.

Warum kommt die industriespezifische Referenzarchitektur jetzt zum richtigen Zeitpunkt? Und ist sie die Butter auf dem Brot des digitalen Wandels? Fragen, die ich Ihnen anhand der folgenden Vorzüge einer Referenzarchitektur beantworten möchte:

  1. Die Referenzarchitektur schafft ein organisationsübergreifendes Verständnis

Gerade im Zuge der immer stärkeren Vernetzung über digitale Schnittstellen wird es schwerer, den Überblick über alle relevanten Knotenpunkte zu behalten. Je mehr Spieler das Feld besetzen, desto unübersichtlicher werden nicht nur das Bild, sondern auch die einzelnen Beziehungen. Eine Referenzarchitektur skizziert alle wichtigen Prozesse, Kontaktpunkte, Systeme, Netzwerke, Datenstrukturen und Anwendungen. Kurzum: Sie sorgt für Transparenz.

Sie fördert das gemeinsame Verständnis aller Akteure der jeweiligen Industrie –  Zulieferer, Partner, Geschäftskunden. Sie gibt aber auch Enterprise-Architekten oder Neulingen der Branche den Zugang zu einem großen Wissensarsenal, durch das sie schnell produktiv sein können. Das hilft der Flexibilität, der Agilität und letztlich auch der gesamten Performance.

Zusammen mit der Lufthansa haben wir letztes Jahr eine industriespezifische Referenzarchitektur für die Luftfahrt entwickelt. Sie zeigt all die architektonischen Stellschrauben auf, an denen ein Unternehmen für effizientere Prozesse drehen kann. Momentan wird die von uns gezeichnete Referenzarchitektur von der Open Group zertifiziert und danach der gesamten Branche als Industriestandard zur Verfügung stehen. Alles über das Projekt mit der Lufthansa lesen Sie hier in einem Fachartikel für NewSolutions.

  1. Sie verbessert Wissenstransfer und Markteinführungszeiten

Existiert ein klarer Bauplan mit allen relevanten Informationen, können Unternehmen immer wieder auf ihn zurückgreifen, um zum Beispiel neue Mitarbeiter in der IT-Abteilung schneller einzuarbeiten. Ein neuer Architekt wird sich viel schneller zurechtfinden, wenn der gesamte organisatorische Aufbau von Business- bis auf Technologieebene detailliert beschrieben ist.

Er sieht auf einen Blick, wo welche Schnittstellen liegen, welche internen mit welchen externen Systemen gekoppelt sind und welche Applikationen und Dienste welche Anforderungen abdecken. Gleiches gilt aber auch für ein neues Partnerunternehmen oder einen neuen Zulieferer.

  1. Sie erleichtert die Harmonisierung von industriespezifischen Geschäftsanforderungenund Marktangebot

Dank des konsolidierten Blickes auf alle technischen Komponenten, Applikationen, Schnittstellen und geschäfts- und domänenspezifische Anforderungen lassen sie sich leicht mit den am Markt verfügbaren Lösungen harmonisieren. Die Referenzarchitektur macht damit den Markt und seine Angebote transparenter und erleichtert die Auswahl der passenden Lösungen auf Technologie- und Applikationsebene. So sieht ein CIO oder der Architekt, der die Softwarelandschaft organisationsweit verantwortet, welche Softwareprodukte welche Aufgaben erfüllen. Er kann auf einen Blick erfassen, ob für Aufgaben verschiedene Tools separat im Einsatz sind, obwohl eine einzelne Plattform oder ein Produkt ausreichend wären. Vielleicht lässt sich auch die Anwendungslandschaft dank aufeinander abgestimmter Lösungen vereinheitlichen? Möglicherweise mit Produkten aus einem Hause? Gerade in organisch schnell wachsenden Unternehmen steckt hier viel Optimierungspotenzial.

  1. Sie schafft Prestige – in und außerhalb der Branche

Zu guter Letzt, sind wir mal ehrlich: Wer sieht sich selbst nicht gern als Normengeber einer ganzen Branche? Kaum jemand vermag noch eine gewisse Führungsrolle zu bestreiten, wenn ein Unternehmen das standardisierte Modell einer ganzen Industrie geschaffen hat.

Wo führt es also hin, das Thema Referenzarchitektur? Ich erwarte, dass sich große Industrieunternehmen anschicken, eine RA zu standardisieren, die früher oder später weltweiter Standard sein wird. Während man früher Referenzarchitekturen für Software entwickelt hat – AUTOSAR (AUTomotive Open System ARchitecture) hat es vorgemacht – beziehen sich Referenzarchitekturen heute vermehrt auf ganze Industrien. Meine Empfehlung für CIOs: Suchen Sie sich auch eine Referenzarchitektur aus ihrem Industrieumfeld. Sie wird Sie beim digitalen Wandel sehr unterstützen!

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Autor

Dr. Eldar Sultanow

Enterprise Architecture
Dr. Eldar Sultanow ist Software-Architekt. Er hat langjährige Praxiserfahrung in der Softwareindustrie, insbesondere in den Bereichen JEE, Electronic/Mobile Commerce, Track-&-Trace und Auto-ID im Pharmabereich. In einem zwischenstaatlichen Projekt hat er eine Plattform mit konzipiert, an der internationale Finanzinstitute angeschlossen sind. Aktuell ist Eldar Sultanow als technischer Chefdesigner in einem der größten öffentlichen IT-Verfahren aktiv, das hunderttausende Transaktionen pro Tag mit einem Jahresvolumen von über 25 Milliarden EUR vollzieht.

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