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IAA-Schaulaufen – wie bleiben Europas OEMs wettbewerbsfähig?

Peter Fintl
21. Juli 2025

Im herbstlichen München präsentiert das Who is Who der globalen Automobilindustrie jüngste Modelle, Innovationen und Technologietrends. Gerade die deutschen Hersteller setzen dabei kräftige Akzente, nachdem die Weltöffentlichkeit im Frühjahr auf der Shanghai Autoshow eine wahre Gala der chinesischen Player und ihrer Innovationsstärke in den Bereichen Hardware, Software und Design erleben durfte.

Ob Schnellladen in zehn Minuten, massentaugliches Design, luxuriöse Innenausstattungen, KI aller Orten oder serienreife Fahrautomatisierung – China konnte die jüngsten Schlagzeilen prägen und punktet in allen Segmenten mit „Value for Money“. Setzte man früher auf Einstiegs- und Mittelklasse, so gehören heute ernstzunehmende Ober- und Luxusklassefahrzeuge zum Portfolio der großen chinesischen Spieler. Domänen der deutschen Hersteller geraten unter Druck – technologisch, preislich und strategisch. Denn während in China Produktentwicklung in kürzesten Zyklen erfolgt und Softwarezentrierung bereits Realität ist, kämpfen viele hiesige Anbieter mit zu komplexen Strukturen, langen Entscheidungswegen sowie ausufernden Kosten. Dazu kommt eine Innovationspipeline, die oft zu spät am Markt ankommt. Kann das Rennen gegen die vermeintlich übermächtigen Wettbewerber noch gewonnen werden?

Europas Comeback – leise aber entschlossen

Die gute Nachricht – und auf der IAA bei Premieren erlebbar: Der technologische Unterbau europäischer Anbieter stimmt. Die neuen Plattformen sind modular, softwareorientiert und skalierbar, dazu oft besser durchdacht als es der öffentliche Diskurs vermuten lässt. Bei Fahrdynamik, Güte der Assistenzsysteme sowie der Gesamtfahrzeugintegration liegt Europa weiter vorne. Auch im Bereich der Elektromobilität wurden in den Dimensionen Reichweite, Schnellladefähigkeit und Kosten große Fortschritte erzielt. Doch reicht das? Die Antwort lautet klar „Nein“. Reine Exzellenz bei den klassischen Ingenieurstugenden wird für die kommende Dekade allein nicht mehr ausreichen. Differenzierung erfolgt heute über Nutzererlebnis, digitale Services und vor allen Dingen Geschwindigkeit. Was fehlt, ist ein mentaler und organisatorischer Wandel, um zurück zur Spitze zu gelangen. Weg vom Produkt, hin zur Plattform, welche den Kunden als Nutzer und nicht bloß als Käufer versteht.

Was muss geschehen? Ein Plädoyer für europäische Selbstbehauptung

Europa muss nicht China kopieren, aber es muss sich radikal weiterentwickeln. Drei Hebel erscheinen hier entscheidend.

  1. Mut zur Softwaredominanz: Fahrzeuge werden nicht nur zum „Datacenter on Wheels“, sondern zu einem wichtigen Teil der digitalen Welt des Kunden. Wer Softwarearchitektur, OTA-Fähigkeit, Datenökonomie und digitale Services nicht vollständig versteht, verliert den Kundenkontakt und damit das Geschäftsmodell der Zukunft.
  2. Kooperation statt Komplexität: Die heute fragmentierte Wertschöpfungskette muss neu gedacht werden. Nur wer strategische Partnerschaften eingeht, kann mit der Dynamik asiatischer Ökosysteme schritthalten. Das geht über die bisherige Zusammenarbeit mit Tech-Playern, Start-ups und Zulieferern hinaus. Die Industrie muss auch in der digitalen Domäne ihr bisheriges Erfolgsmodell fortschreiben: Standardisierung und Modularisierung zwischen den Herstellern sorgen für Skaleneffekte, Innovationstempo und Qualität. Was der Kunde nicht direkt sieht, kann – und sollte – gemeinsam entwickelt werden! Auch wenn die Weltmärkte derzeit auseinanderdriften: Die Nutzung globaler Ressourcen im Bereich Entwicklung und Operations wird weiterhin ein entscheidender Wettbewerbsaspekt bleiben, dessen Nutzung unerlässlich ist.
  3. Geschwindigkeit durch Fokussierung: Der Flaschenhals ist nicht die Technologie, sondern die Geschwindigkeit, mit der sie in Serie gebracht wird. Radikale Vereinfachung von Prozessen, klare Produktfokussierung und Empowerment der Entwicklungsteams sind Schlüssel zur Beschleunigung. „China-Speed“ kann auch in Europa möglich sein!

IAA wird zur Bewährungsprobe

Die diesjährige IAA ist von besonderer Bedeutung. Schafft es Europa, sich nicht nur als Bewahrer, sondern als aktiver Gestalter der „Mobilität von morgen“ zu präsentieren? In vielen Bereichen sind die Weichen bereits erfolgsversprechend gestellt. Die Premieren, speziell der deutschen Hersteller, sind mehr als ein Fingerzeig. Nun gilt es, mutig zu sein und die „harten Probleme“ weiter anzugehen. Das bedeutet, intern Organisationen zu straffen, neue Technologien wie KI mutig einzusetzen und deutlich kosteneffizienter zu werden. Gleichzeitig braucht es auch ein industriepolitisch hilfreiches Umfeld. Planungssicherheit und Konsistenz bei gesetzlichen Maßnahmen, klare und nachvollziehbare Kommunikation zu den Käufern sowie optimierte Standortbedingungen sind Gebot der Stunde. Zutaten und Rezept sind vorhanden, nun sind mutige Köche gefragt.

September 9 – 12, 2025 | Treffen Sie uns auf dem IAA Summit in München.

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Autor

Peter Fintl

Vice President Technology & Innovation, Portfolio | Capgemini Engineering
Peter Fintl leitet die Abteilung Forschung und Einblicke bei Capgemini Engineering. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Automobil- und Hightech-Industrie ist er spezialisiert auf die Entwicklung und Umsetzung von Innovationen an der Schnittstelle von Geschäftsmodellen, Technologie und Nutzererfahrung rund um Mobilität und intelligente Industrie.