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Global denken, lokal handeln – Über das Ausmaß des Klimawandels wird in den Kommunen entschieden 

Dr. Helge Maas
10. Mai 2023
capgemini-invent

Der Klimawandel stellt eine Jahrhundert-Herausforderung dar – mit Städten als Teil des Problems und Teil der Lösung  

Längst ist klar, dass der Klimawandel eine der zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts darstellt. Seine Ursachen sind vielfältig, seine Folgen bereits jetzt auch in Deutschland zu spüren. Städte nehmen in diesem Zusammenhang eine geteilte Rolle ein: Auf der einen Seite lebt die Mehrheit der Menschheitsbevölkerung in urbanen Räumen (in Europa über 70%) und Städte sind verantwortlich für einen Großteil des Energie- und Ressourcenverbrauchs. Es ist daher nicht verwunderlich, dass mehr als zwei Drittel der globalen Treibhausgasemissionen Städten zuzuordnen sind.[1] Gleichzeigt sind die Menschen in der Stadt von den Folgen des Klimawandels betroffen: Hitzewellen, Starkregenereignisse und der Anstieg des Meeresspiegels (80 % der Weltbevölkerung leben weniger als 100 km vom Meer entfernt) wirken sich überproportional auf Städte aus. Der Handlungsbedarf in Bezug auf Emissionsminderung und Klimaanpassung ist also immens, auch in Deutschland.

Auf der anderen Seite ist eine starke Bereitschaft zum Klimaschutz auf lokaler Ebene zu beobachten. Städte verpflichten sich zu ambitionierten Emissionsminderungszielen, verabschieden die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen, erarbeiten Strategien zur Energieeinsparung sowie zur Senkung des Ressourcenverbrauchs und schließen sich zu Klimanetzwerken zusammen. Hierbei erweisen sich Kommunen an vielen Stellen als handlungsschneller und transformationsbereiter als es auf der nationalstaatlichen Ebene möglich ist. Klar ist also nicht nur, dass Städte maßgeblich zum Klimawandel beitragen, sondern auch, dass sie ein entscheidender Teil der Lösung sind. UN-Generalsekretär António Guterres drückte es folgendermaßen aus: “Cities are where the climate battle will largely be won or lost”. [2]

Welche Städte sind besonders aktiv – und welche hinken hinterher?

Doch wodurch wird kommunaler Klimaschutz begünstigt? Eine Reihe von eng miteinander verzahnten Faktoren ist entscheidend. Zunächst ist eine ausreichende Verfügbarkeit von (personellen, finanziellen und administrativen) Ressourcen zu nennen. Aus statistischen Analysen wissen wir, dass prosperierende Städte dazu neigen, aktiveren Klimaschutz zu betreiben, während ökonomisch schwächere Kommunen tendenziell hinterherhinken. Je größer und wohlhabender eine Stadt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass eine Klimaschutzstrategie existiert[1]. Beispiel Stuttgart: Die Landeshauptstadt hat 2022 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen, hat ein Klimaschutz-Aktionsprogramm mit einem Budget von 200 Millionen Euro beschlossen und verfügt über eine sehr umfangreiche Förderlandschaft zu Energie und Klimaschutz[2]. Die Metropolregion Stuttgart ist eine wirtschaftlich starke Region mit einem der höchsten BIP pro Kopf in Deutschland.

Im Kontrast zur Landeshauptstadt Stuttgart (635.000 Einwohner*innen) stehen eine Vielzahl kleinerer Kommunen, die eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen und damit zeigen, wie der grundsätzlichen Tendenz entgegengearbeitet werden kann: So wie die Gemeinde Meldorf (7.000 Einwohner*innen) in Schleswig-Holstein, in der aktuell nach dänischem Vorbild der erste saisonale Erdbeckenspeicher Deutschlands gebaut wird, um Abwärme ganzjährig zu nutzen.

Neben der Größe und Wohlstand ist die politische Überzeugung der Entscheidungstragenden einer Stadt eine wichtige Bedingung für effektiven Klimaschutz[1]. Städte mit Bürgermeister*innen, die den Klimaschutz ganz oben auf ihre Agenda setzen, können andere (institutionelle oder finanzielle) Schwächen oft kompensieren. Der politische Wille ist insbesondere dann häufig gegeben, wenn der Schutz des Klimas mit positiven Nebeneffekten (co-benefits) einhergeht.[2] Zwei Beispiele hierfür: Kostensenkungen durch Energieverbrauchseinsparungen oder eine Verbesserung der Luftqualität durch eine Abkehr von fossilen Brennstoffen. Durch co-benefits haben Stadtverwaltungen neben dem globalen Interesse auch einen individuellen Anreiz, das Klima zu schützen. Wieder lässt sich als Beispiel die Landeshauptstadt Stuttgart heranziehen: Die lokal ansässige Industrie und der stadtübliche Verkehr in Kombination mit der Kessellage sorgen für erhöhte Luftschadstoffkonzentrationen. Die Stuttgarter Klimaschutzaktivitäten zahlen unter anderem auch auf die Behebung dieses Problems ein und haben zu erheblichen Verbesserungen geführt[3].

Eine letzte wichtige Erkenntnis lautet: Kommunen können sich gegenseitig unterstützen, wenn sie sich in Netzwerken zusammenschließen.[4] Kommuale Klimaschutznetzwerke – wie beispielsweise der Global Compact of Mayors for Energy and Climate (GCoM) – vereinfacht den Informations- und Ideenaustausch zwischen Entscheidungsträgen und senkt Transaktionskosten. Insbesondere kleineren Kommunen kann so geholfen werden, strukturelle Schwächen zu überwinden. In Deutschland sind 35 Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern*innen im GCoM vernetzt.

Unsere Empfehlung an Kommunen

Klimaschutz findet nur in den großen, reichen und gut vernetzten Städten statt? Dass das nicht der Fall ist, beweisen etliche Kommunen auf der ganzen Welt. Es ist daher ein Ansatz notwendig, der die Stärken einer Kommune zum Tragen kommen lässt und die Schwächen kompensiert. In unseren kommunalen Klimaschutzprojekten haben wir viel Erfahrung darin gesammelt, wie Klimaschutz aus unterschiedlichen Ausganssituationen heraus erfolgreich gelingen kann. Wir empfehlen Städten und Gemeinden eine Herangehensweise, die auf mehreren Säulen fußt:

Die Menschen in den Mittelpunkt stellen

Effektiver Klimaschutz kann nur gemeinsam mit den Bürger*innen und lokalen Unternehmen einer Stadt gelingen. Die Mitnahme und Einbeziehung der Bewohner*innen und Akteure vor Ort sollte im Mittelpunkt einer jeden Klimaschutzstrategie stehen. Über verschiedene Sektoren hinweg sollten Anreize geschaffen, intensiv informiert und zur aktiven Teilhabe motiviert werden.  

Integriertes Klimaschutzkonzept ergänzt durch energetische Quartierskonzepte

Unsere Erfahrung zeigt, dass Klimaschutz auf kommunaler Ebene am erfolgreichsten ist, wenn eine übergeordnete Strategie durch bürger- und akteursnahe Konzepte für einzelne Quartiere ergänzt wird. Energetische Quartierskonzepte ermöglichen es, sehr konkret auf die Gegebenheiten in einem bestimmten Stadtteil einzugehen und die bestmögliche Individuallösung zu erarbeiten.

Schrittweises Vorgehen – Bestandsaufnahme, Strategie, Umsetzung, Monitoring

Die individuelle Ausgangsituation jeder einzelnen Stadt macht zunächst eine Bestandsaufnahme notwendig. Wo steht die Kommune beim Klimaschutz? Welche Besonderheiten herrschen vor? Welche Hindernisse gilt es zu überwinden? Darauf aufbauend sollte eine Strategie mit umsetzungsorientierten Maßnahmen erarbeitet werden, die das Erreichen des Zielbildes ermöglicht. Für diesen Schritt halten wir die Anwendung der zielorientierten Backcasting-Methode für besonders geeignet, bei der ausgehend vom Ziel (bspw. Klimaneutralität bis 2035) notwendige Schritte und Ereignisse aus der Gegenwart skizziert werden. Zudem ist ein Monitoring-Prozess zu etablieren, der den Erfolg der Maßnahmen fortlaufend evaluiert und ein rechtzeitiges Gegensteuern ermöglicht.

Interne Strukturen etablieren

Innerhalb einer Stadtverwaltung müssen klare Strukturen geschaffen werden, um Klimaschutzmaßnahmen auf effektive Weise zu erarbeiten und umzusetzen. Hierzu gehört unter anderem eine bereichsübergreifende Kommunikations- und Entscheidungsstruktur, die durch klare Zuständigkeiten Reibungsverluste minimiert, Abstimmungswege verkürzt und schlussendlich die Zusammenarbeit effizienter gestaltet. Die Informationen müssen bei einem Nachhaltigkeitsteams der Stadt als zentrale „Kümmerungsstelle“ zusammenlaufen. 

Austausch suchen, Vernetzung nutzen

Städte sollten sich gegenseitig unterstützen. Viele Kommunen stehen vor ähnlichen Herausforderungen und können durch Austausch Chancen nutzen und Fehler vermeiden. Neben der Vernetzung auf der interkommunalen Ebene sollte auch eine enge Kommunikation auf der vertikalen Ebene (Ländern, Bund, EU) stattfinden, sodass eine optimale Abstimmung der Klimaschutzaktivitäten und ggf. -förderprogrammen zum Tragen kommt.

Technologien einsetzen, Potenziale der Digitalisierung heben

Neben der nachhaltigen Transformation sehen sich Kommunen auch mit der digitalen Transformation konfrontiert. Beide Veränderungen sollten zusammengedacht und die Digitalisierung als stärkste Transformationskraft für den Klimaschutz als drängendste Transformationsaufgabe eingesetzt werden. Wichtig ist: Digitalisierung sollte als Werkzeug verstanden werden, Nachhaltigkeit als Zweck. Durch die Digitalisierung werden unter anderem neue Möglichkeiten in der Datenerhebung, -verarbeitung und -visualisierung geschaffen, die Kommunen nutzen sollten. Beispielsweise der Einsatz eines Klimadashboards, auf dem die Entwicklungen von klimarelevanten Kennzahlen zusammengetragen und transparent dargestellt werden. Das ermöglicht nicht nur den politischen Entscheider*innen, die wichtigsten Entwicklungen im Blick zu halten, sondern auch den Bürger*innen und lokal ansässigen Unternehmen, den Fortschritt auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzuverfolgen.

Fazit

Prognosen zufolge werden im Jahr 2050 6 Milliarden Menschen in urbanen Räumen leben – doppelt so viele wie im Jahr 2000[1]. Eine nachhaltige Transformation unserer Städte ist daher unabdingbar, wenn die Auswirkungen des Klimawandels reduziert werden sollen. Die Treiber und Hemmnisse von Klimaschutz auf der kommunalen Ebene sind vielfältig und bedingen sich gegenseitig. Zudem unterscheiden sich die Kommunen stark mit Blick auf die Ausgangssituation, wodurch eine individuelle Herangehensweise vonnöten ist. Unsere Erfahrungen mit Kommunen unterschiedlicher Größe zeigt aber, dass ein Mix aus einer partizipativen Herangehensweise, klaren internen Strukturen sowie die digitale Unterstützung Grundpfeiler sind, mit denen eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik auf Kommunalebene gestaltet werden kann. Wenn die Weichen richtig gestellt werden, kann die nachhaltige Transformation gelingen und Kommunen werden zum entscheidenden Teil der Lösung dieser Jahrhundert-Herausforderung.

[1] IPCC (2022): Summary for Policymakers. Abrufbar unter: https://www.ipcc.ch/sr15/chapter/spm/

[2] Rede beim C40 World Mayors Summit, 11. Oktober 2019. Abrufbar unter: https://unfccc.int/news/guterres-cities-are-where-the-climate-battle-will-largely-be-won-or-lost

[3] Eisenack, Klaus; Roggero, Matteo (2022): Many roads to Paris: Explaining urban climate action in 885 European cities. In Global Environmental Change 72 (2), p. 102439. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2021.102439.

[4] Stuttgart.de. Abrufbar unter: https://www.stuttgart.de/pressemitteilungen/2021/dezember/stuttgart-ist-deutschlands-nachhaltigste-grossstadt.php#:~:text=Die%20Landeshauptstadt%20Stuttgart%20ist%20Siegerin,Dezember%2C%20in%20D%C3%BCsseldorf%20bekannt%20gegeben.

[5] Altenburg, Corinna (2012): Institutional and Social Capacities in Lead Cities in Europe and the United States: Success Factors for Urban Sustainability? In William G. Holt (Ed.): Urban areas and global climate change, vol. 12. 1. ed. Bradford: Emerald Group Publishing Limited (Research in Urban Sociology, v. 12), pp. 3–28.

[6] Eisenack, Klaus; Roggero, Matteo (2022): Many roads to Paris: Explaining urban climate action in 885 European cities. In Global Environmental Change 72 (2), p. 102439. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2021.102439.

[7] Stuttgart.de. Abrufbar unter: https://www.stuttgart.de/pressemitteilungen/2021/dezember/stuttgart-ist-deutschlands-nachhaltigste-grossstadt.php#:~:text=Die%20Landeshauptstadt%20Stuttgart%20ist%20Siegerin,Dezember%2C%20in%20D%C3%BCsseldorf%20bekannt%20gegeben.

[8] Reckien, Diana; Salvia, Monica; Heidrich, Oliver; Church, Jon Marco; Pietrapertosa, Filomena; Gregorio-Hurtado, Sonia de et al. (2018): How are cities planning to respond to climate change? Assessment of local climate plans from 885 cities in the EU-28. In Journal of Cleaner Production 191 (5), pp. 207–219. DOI: 10.1016/j.jclepro.2018.03.220.

[9] Van der Heijden, Jeroen; Bulkeley, Harriet; Certomà, Chiara (2019): Promises and Concerns of the Urban Century. Increasing Agency and Contested Empowerment. In van der Heijden, Jeroen; Bulkeley, Harriet; Certomà, Chiara (Eds.), Urban Climate Politics: Cambridge University Press, 210-230.

Autor und Co-Autor: Dr. Helge Maas und Jonas Vogel

Autor

Dr. Helge Maas

Director | Sustainability Lead Public Sector Germany, Capgemini Invent Germany
Ich berate Kommunen, Behörden und Ministerien seit über 14 Jahren zu den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Ich unterstütze meine Kunden dabei, ihre ambitionierten Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsziele zu erreichen sowie gesetzliche Vorgaben einzuhalten – stets getreu dem Motto „Global denken, lokal handeln“.

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