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Durch ganzheitliche Personalstrategien dem Fachkräftemangel im öffentlichen Sektor entgegenwirken

Veronika Hübner
25.09.2024
capgemini-invent

Der Fachkräftemangel hat sich zu einer der größten Herausforderungen für den öffentlichen Sektor in Deutschland entwickelt. Von der Verwaltung über das Bildungswesen bis hin zum Gesundheitssektor – überall fehlen qualifizierte Mitarbeitende. 2022 waren rund 360.000 Stellen im öffentlichen Dienst unbesetzt.1 In den kommenden Jahren droht sich die Situation weiter zu verschärfen: Bis 2030 sollen etwa 1,3 Millionen Beschäftigte und damit knapp ein Drittel des Personals des gesamten öffentlichen Dienstes in den Ruhestand gehen.1

Daraus resultierende Folgen wirken sich negativ auf die Bevölkerung aus. Längere Wartezeiten in Krankenhäusern oder bei der Bearbeitung von Anträgen sind alltägliche Beispiele, die für viele bereits Realität geworden sind. Langfristig gesehen könnte hierdurch sogar das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen und die Funktionsfähigkeit des Staates untergraben werden, sollte man dem sich verschärfenden Fachkräftemangel nicht entgegenwirken können.2

Die bereits spürbaren Folgen des Fachkräftemangels veranlassen öffentliche Institutionen zu handeln. Unsere Studie „Hemmnisse und Beschleuniger der Transformation im öffentlichen Sektor“ identifizierte den Fachkräftemangel sogar als stärksten Anreiz für staatliche Institutionen, sich grundlegend zu verändern. 75 % aller Befragten stuften den Fachkräftemangel als wichtigen, wenn nicht sogar als den wichtigsten Treiber für kommende Transformationen ein. Themen wie Digitalisierung, Schuldenbremse oder Dekarbonisierung folgten erst auf den nachfolgenden Plätzen.

„Der demografische Wandel ist der größte Treiber, wir antizipieren Tausende fehlende Mitarbeitende auf Sicht von 5 bis 10 Jahren.”

Dr. Matthias Flügge, Chief Digital Officer, DRV Bund, über die Auswirkungen in seiner Institution

Strategische Personalplanung bildet die Basis für den Kampf gegen den Fachkräftemangel

Um dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können, müssen Institutionen zunächst wissen, wie viele Mitarbeitende mit welchen Kompetenzen kurz-, mittel-, sowie langfristig einerseits vorhanden sind und andererseits gebraucht werden. Die strategische Personalplanung macht die Kompetenzlücke transparent und leitet geeignete Maßnahmen ab, um diese zu schließen. Hierbei bezieht sie die strategischen Ziele der Institution sowie externe und interne Einflussfaktoren mit ein.

Damit auf zukünftige Anforderungen in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt flexibel reagiert werden kann, sollten sich Institutionen auf benötigte Profile mit den notwendigen (Zukunfts-) Kompetenzen konzentrieren. Strategische Personalplanung umfasst daher idealerweise die quantitative, stellenbasierte, sowie die qualitative, kompetenzbasierte Planung. Der quantitative Personalbedarf wird anhand von Anforderungen bestimmter Positionen oder Stellen definiert, wobei die Entwicklung der Mitarbeitenden hauptsächlich auf die Aufgaben in dieser Position ausgerichtet ist. Der qualitative Personalbedarf dagegen wird auf Basis von individuellen Fähigkeiten und Kompetenzen, die zur Erreichung aktueller und zukünftiger Geschäftsziele nötig sind, ermittelt. Da Kompetenzen nicht an Arbeitsplätze oder Jobs geknüpft sind, können Mitarbeitende so flexibel in verschiedenen Positionen, unabhängig von der formalen Qualifikation, eingesetzt werden.

Dies unterstreicht auch Dr. Wolf Engelbach, Referatsleiter im Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg in unserer Studie „Hemmnisse und Beschleuniger der Transformation im öffentlichen Sektor“:

„Unsere Ausschreibungen sind teilweise noch sehr eng auf die gewohnten Berufsgruppen wie Juristen oder Ingenieure ausgerichtet. Wir brauchen aber auch andere Kompetenzen wie Kommunikation und Projektsteuerung.”

Dr. Wolf Engelbach

Digitalkompetenz ist gefragter denn je

Es herrscht ein heterogenes Bild darüber, welche Zukunftskompetenzen genau gefordert sind, um mit Anforderungen in einer sich schnell wandelnden und zunehmend komplexeren Arbeitsumgebung umgehen zu können. Verschiedene postulierte Kompetenzmodelle und aktuelle Veröffentlichungen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Zudem sind die Zukunftskompetenzen abhängig von den externen Faktoren des jeweiligen Sektors sowie der Ziele der Institutionen.

Einigkeit besteht jedoch darüber, dass Digitalkompetenzen von besonderer Bedeutung sind und deren Wichtigkeit auch in Zukunft weiter zunimmt. Auch unsere Studie unterstützt dieses Ergebnis für den öffentlichen Sektor. Neben Transformationskompetenz wurde vor allem die Digitalkompetenz als bedeutsamste Fähigkeit der Zukunft identifiziert, wobei dies über alle Altersgruppen hinweg gleichermaßen gilt.

„Schulung von Digitalkompetenzen ist nicht nur eine Aufgabe für die ältere Kohorte. Auch Jüngere haben da stellenweise viel Luft nach oben.”

Dr. Wolfgang Scheremet, Leitung Z-Abteilung, Umweltbundesamt

Digitalkompetenz bezieht sich dabei nicht nur auf die reine Nutzung oder Kenntnisse über die Anwendung digitaler Technologie. Im Vordergrund stehen dabei ebenso das Verhältnis und die Kooperation von Mensch und Maschine. So zeichnen sich Digitalkompetenzen auch dadurch aus, inwiefern man mit verschiedenen Technologien wie beispielsweise KI-Systemen, Robotern und autonomen Systemen effektiv zusammenarbeitet. Gefragt wird nach der Fähigkeit, Technologie zur Problemlösung und zum Wissensaufbau im Rahmen einer verantwortungsbewussten Nutzung zu verwenden – dabei sollten die Themen Datenschutz und Datensicherheit nicht vernachlässigt werden. Schließlich umfasst Digitalkompetenz auch die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich an schnell verändernde digitale Umgebungen anzupassen und sich darin weiterzubilden. Kontinuierliches Lernen ist daher ein wichtiger grundlegender Schlüssel zur Digitalkompetenz.

Nachdem die benötigten Fähigkeiten und der Bedarf an Personal, identifiziert wurden, um die zukünftigen Ziele der Institutionen zu erreichen, sollte mithilfe eines strategischen Personalplans dargelegt werden, welche Personalstrategie kurz- bis langfristig verfolgt wird. Capgemini Invent setzt hierbei auf seinen 7B-Ansatz (Grafik 1), der verschiedene Herangehensweisen zur Schließung der Kompetenzlücken berücksichtigt.

Abbildung 1: 7B-Ansatz

Borrow, Buy, Bot, Build, Bridge, Bind und Bounce sind dabei nicht nur Schlagworte. Hinter jedem Element steht eine dedizierte Strategie zur Schließung der identifizierten Kompetenzlücken: Die Beauftragung externer Ressourcen („Borrow“) oder die Einstellung neuer Mitarbeitender („Buy”), die Nutzung des Potenzials von Automatisierung und künstlicher Intelligenz („Bot“) oder die Investition in Weiterbildungs- und Umschulungsinitiativen („Build“) sind hierbei wohl die bekanntesten. Doch meist gibt es nicht nur einen Weg. Mit Hilfe des 7B-Ansatzen lässt sich eine individuelle Strategie zusammenstellen, um den Fachkräftemangel effektiv zu bekämpfen. Diese besteht aus einem geeigneten Mix verschiedener „Bs“, basierend auf den zugrundeliegenden Ursachen und zugeschnitten auf den Bedarf der Institution. Oftmals spielt die Rekrutierung neuer Mitarbeitender („Buy“) mit entsprechend geforderten Kompetenzen hierbei eine große Rolle. Dies ist jedoch nicht die einzige Möglichkeit qualifiziertes Personal zu gewinnen – vor allem dann nicht, wenn der Arbeitsmarkt kaum Ressourcen bietet und externe Einstellungen nicht in Frage kommen.

Oftmals wird durch Neu-Rekrutierung kurzfristig versucht Lücken zu schließen, jedoch haben unsere Erfahrungen gezeigt, dass über die Hälfte der zukünftigen Rollen innerhalb einer Institution von derzeitigen Mitarbeitenden übernommen werden können, wenn eine strategische und kompetenzbasierte Personalplanung vorhanden ist.

Deshalb ist es umso wichtiger, Fachkräfte ihren Kompetenzen entsprechend einzusetzen, ihre Fähigkeiten weiter zu vertiefen und neue Kompetenzen strategisch zu entwickeln (dargestellt unter „Build“ und „Bridge“ in Grafik 1).

Wir erleben, dass ein umfassendes Kompetenzmanagement sehr wichtig ist. Wenn es ein umfassendes Bild über die verfügbaren Kompetenzen in einem Haus gibt, dann fällt es erheblich leichter, Synergien aufzubauen.

Die Referatsleitung Digitalisierung eines Bundesministeriums

Talentmarketplaces geben dem Kompetenzmanagement eine geeignete Plattform

Sogenannte Talentmarketplaces bieten hierbei eine enorme Hilfestellung. Dabei handelt es sich um eine interne, KI-gestützte Plattform, die einem doppelten Zweck dient: Dem Abgleich von Mitarbeitenden mit geeigneten Stellen bzw. Projekten und der Förderung von Talententwicklung und Karriereplanung.

Die Mitarbeitenden können ihr Kompetenzprofil in dem Talentmarketplace hinterlegen, während das System gleichzeitig mithilfe von Algorithmen geeignete interne Mitarbeitende für ausgewählte Stellen und Projekte vorschlägt. Die Mitarbeitenden können ihre Kompetenzen und Wünsche für bestimmte Stellen oder Projekte in dem Talentmarketplace hinterlegen. Nach erfolgtem Abgleich der Kompetenzen, schlägt das System mithilfe von Algorithmen geeignete interne Mitarbeitende für ausgewählte Stellen und Projekte vor. Talentmarketplaces ermöglichen weiterhin individuell zugeschnittene Trainingsangebote und zeigen die zu erlernenden Kompetenzen für gewünschte Positionen auf. So erhalten Mitarbeitende Transparenz darüber, welche Kompetenzen für welche Jobs erforderlich sind und haben, die Möglichkeit, sich proaktiv gezielt in diese Richtung zu entwickeln. Sie bekommen einen Überblick über interne Karrieremöglichkeiten und können selbst dazu beitragen, ihre Beschäftigungsfähigkeit auszubauen. Talentmarketplaces sind deshalb auch ein geeignetes Mittel, um Mitarbeitende längerfristig an die Institution zu binden, indem sie interne Mobilität und dadurch mehr Karrierewege ermöglichen. 69 % aller Millennials wechseln nach spätestens 5 Jahren ihren Job3, da sie andere Erwartungen an die Arbeitsbedingungen sowie an ihre berufliche Entwicklung haben und ihnen oftmals die Transparenz fehlt, wie sich diese innerhalb der Institution realisieren lassen.

Ein Talentmarketplace unterstützt nicht nur die Seite der Mitarbeitenden. Führungskräften hilft die Plattform bei der Bewertung und Verwaltung von Kompetenzen. Sie zeigt auf, welche Mitarbeitenden über welche Kompetenzen bereits verfügen und welche sich aufgrund verwandter Kompetenzen beispielsweise besonders für eine Weiterentwicklung eignen, um Kompetenzlücken zu schließen. Gleichzeitig können die hinterlegten Interessen und Wünsche der Mitarbeitenden miteinbezogen werden, um so möglichen Austritten von Mitarbeitenden entgegenzuwirken.

Für die Personalabteilung bieten Talentmarketplaces als Kompetenzplattform zudem eine gute Ausgangslage, um den Ist-Zustand benötigter Kompetenzen innerhalb der Institution im Rahmen der strategischen Personalplanung zu ermitteln. Öffentliche Institutionen stehen vor tiefgreifenden Veränderungen, die durch den Fachkräftemangel unausweichlich geworden sind. Neben diversen Herausforderungen bietet dies aber auch die Chance, sich zu einem innovativen und digitalen Sektor zu transformieren.

Fazit

Die Einführung einer kompetenzbasierten strategischen Personalplanung und die Förderung von Digitalkompetenzen sind wesentliche Schritte, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen in Zukunft zu sichern. Innovative Ansätze wie Talentmarketplaces bieten dabei vielversprechende Lösungen, um die Kompetenzlücken zu schließen, Personal gezielt weiterzubilden und langfristig zu binden. Denn letztlich wird bei einem zunehmenden Mangel an Fachkräften der Erfolg davon abhängig sein, inwiefern vorhandenen Fachkräfte gehalten und strategisch optimal eingesetzt werden können.

Vielen Dank an unsere Co-Autoren*innen Anna Berstecher und Yannick Schmidt, sowie an unsere Skill Shortage Expertin Nele Kammann.


  1. Dbb: Beamtenbund und Tarifunion. (2022). Öffentlicher Dienst: Es fehlen 360.000 Beschäftigte.
  2. Deutscher Städtetage. (2024). Kommunale Handlungsfähigkeit erhalten in Zeiten des Arbeitskräftemangels.
  3. Capgemini. (2021). Conversation Magazine.

Unsere Expertinnen

Veronika Hübner

Senior Manager | Workforce & Organization, Capgemini Invent Germany
Als erfahrene Senior Managerin im Bereich Workforce & Organization bringt Veronika Hübner ihre Erfahrungen im Veränderungsmanagement und bei (IT-)Transformationsprogrammen ein. Ihr Fokus liegt dabei besonders auf Training, Leadership Development und Coaching, Change Management und agilen Organisationen. Durch gezielte Maßnahmen unterstützt sie Unternehmen und Organisationen des öffentlichen Sektors dabei, Veränderungen effizient umzusetzen. Ihr Ziel ist es, eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Anpassungsfähigkeit zu etablieren, um langfristig den Herausforderungen des Fachkräftemangels zu begegnen.

Dr. Doris Förtschbeck

Senior Manager | Public Sector, Capgemini Invent Germany
Doris Förtschbeck ist Organisationspsychologin mit mehr als 15 Jahren Beratungserfahrung für eine Vielzahl von Organisationen und Branchen. Sie ist darauf spezialisiert ihre Kunden bei ihren organisationalen und digitalen Transformationsprogrammen zu unterstützen. Ihre Schwerpunkte sind Personalstrategie und -planung sowie Assessments, insbesondere unter Einsatz von modernen Analyse-Systemen und Technologien. Dabei arbeitet sie eng mit dem Top-Management zusammen, um datengestützte Erkenntnisse und Empfehlungen für die Managementstrategie und Geschäftsentwicklung ihrer Kunden zu liefern.

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