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Zwischen Herausforderungen und Chancen: Digitale Produktpässe (DPPs) als strategischer Wettbewerbsvorteil

Dr. Christopher Schmidt
09.04.2025
capgemini-invent

Ein Digitaler Produktpass (DPP) ist ein „Datensatz, der die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen oder auch Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt zusammenfasst.“1

Je nach DPP können die Daten aus allen Phasen des Produktlebenszyklus (Design, Herstellung, Nutzung, Recycling) bzw. aus der gesamten Wertschöpfungs- und Lieferkette (von Rohstoffbeschaffung bis zum Recycling) stammen.

Das Konzept von DPPs unterstützt die Bestrebungen der Europäischen Union in der Twin-Transition – ein Wandel hin zu einer nachhaltigen und kohlenstoffarmen Wirtschaft sowie der digitalen Transformation der Gesellschaft. Dieses Konzept wird durch verschiedene verbindliche EU- und internationale Regelungen umgesetzt. Die Einführung von DPPs stellt Unternehmen, die in der Europäischen Union tätig sind, vor ernstzunehmende externe und interne Herausforderungen.

Regulatorischer Druck zur zeitnahen Einführung von DPPs

Viele DPPs sind bereits heute bekannt, aber zahlreiche weitere DPPs werden weltweit erwartet (siehe Abbildung 1). Eine Nicht-Einhaltung dieser Regularien kann zu Strafzahlungen und Marktsperren führen, während auch Reputationsschäden durch das Versäumnis Nachhaltigkeitsvorgaben zu erfüllen zu erwarten sind. Die fristgerechte Einführung von DPPs ermöglicht Unternehmen nicht nur die Erfüllung dieser Anforderungen, sondern stärkt auch ihre Marktposition.

Abbildung 1: Übersicht aktuell bekannter DPPs.

Nachfolgend werden drei der oben aufgeführten DPPs kurz erklärt.

  • Environmental Vehicle Pass (EVP): Ab dem 29. November 2026 müssen alle neu genehmigten Fahrzeugtypen und ab 29. November 2027 alle neu zugelassenen Pkw den EVP in digitaler Form (z.B. über QR-Code) mitführen. Die Anforderungen überschneiden sich mit denen des Batteriepasses, was eine gemeinsame IT-Lösung ermöglicht.
  • EU-Batterieverordnung: Ab dem 1. Februar 2027 ist der Batteriepass für alle industriellen Batterien und Fahrzeugbatterien mit mehr als 2 kWh Speicherkapazität verpflichtend.
  • Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR): Ab 2025 werden Produktkategorien festgelegt, die von dieser Verordnung betroffen sind. Für Textilien wird eine Verordnung im Januar 2026 erwartet, mit einer Frist zur Umsetzung bis Juli 2027. Eine ähnliche Zeitschiene deutet sich für Stahl an.

Herausforderungen und Chancen

Neben der fristgerechten Einführung stellen die DPPs Unternehmen ebenfalls vor erhebliche interne Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem:

  • Fehlende DPP-Governance (Aufbau- und Ablauforganisation): Ungeklärte Verantwortlichkeiten und fehlende Standardprozesse führen zu hohen Ineffizienzen bei der Initiierung und Umsetzung von DPPs. Dies schlägt sich folglich in langen Projektlaufzeiten und hohen Projektkosten nieder. Darüber hinaus ist eine organisationsseitige Basisbefähigung mit geklärten Verantwortlichkeiten und Standardprozessen für den Linienbetrieb erforderlich.
  • Mangelnde IT-Readiness: Eine unzureichende Harmonisierung der IT-Landschaft führt zu einer unzureichenden Datenqualität und -durchgängigkeit. Zusätzlich ist die IT-Architektur (im DPP-Kontext) im Regelfall unvollständig, was zunächst eine Basisbefähigung erfordert. Es bedarf einer holistischen DPP-IT-Strategie, um einerseits eine effiziente Basisbefähigung und andererseits Synergien in der Betriebsphase zu nutzen und die IT-Betriebskosten in einem angemessenen Rahmen zu halten.
  • Befähigung der Lieferkette: Zahlreiche DPPs fordern Daten aus unterschiedlichen Bereichen der Wertschöpfungs- und Lieferkette, die zur Erfüllung der Regulatorik notwendig sind. Damit die Daten in einen DPP einfließen können, müssen sie am Entstehungsort (z. B. Zulieferer) und im eigenen Unternehmen verfügbar gemacht werden.

Neben komplexen Herausforderungen, die mit der Einführung von DPPs einhergehen, bieten diese auch zahlreiche Chancen, um einen strategischen Wettbewerbsvorteil zu generieren. Zudem ist die Umsetzung der oben genannten Herausforderungen, die im Regelfall für die regulatorische Compliance erforderlich sind, häufig mit hohen Investitionen und zusätzlichen Betriebskosten verbunden. Insbesondere in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten ist es entscheidend, die Amortisierung dieser Kosten bereits in der Designphase zu berücksichtigen. Zu diesen Chancen zählen unter anderem:

Effizienzsteigerung und Kostenreduktion: Die präzisere Rückverfolgbarkeit von Bauteilen und Materialien reduziert Produktrückrufe, minimiert Kosten und mindert Reputationsrisiken.

Qualitätsmanagement und Prozessoptimierung: Die detaillierte Datenerfassung entlang der Wertschöpfungskette ermöglicht eine verbesserte Qualitätskontrolle, effiziente Prozessgestaltung und gezielte Produktverbesserungen.

Verbesserte Transparenz: Die Bereitstellung detaillierter Produktdaten steigert die Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dies dient nicht nur der Einhaltung der Vorschriften, sondern stärkt auch das Vertrauen der Verbraucher.

Ökologische Ziele: Durch die Erfassung von CO₂-Fußabdrücken und erhöhte Transparenz hinsichtlich der Recyclingfähigkeit ihrer Produkte können Unternehmen ihre ökologischen Ziele besser erreichen und nachhaltig wirtschaften.

Innovationstreiber: Die im DPP gesammelten Daten bieten die Grundlage für Anwendungen in Künstlicher Intelligenz (KI) und Automatisierung, um Geschäftsprozesse weiter zu optimieren. Zusätzlich können Unternehmen auf Basis der verbesserten Datenverfügbarkeit neue datengetriebene Geschäftsmodelle entwickeln, etwa Recycling-as-a-Service, und spezialisierte Recycling-Dienstleistungen anbieten.

Unsere Perspektive und unser E2E-Ansatz für die erfolgreiche und nachhaltige Umsetzung von DPPs

Bei der Umsetzung von DPPs verfolgt Capgemini einen nachhaltigen DPP-Ansatz, der über die reine regulatorische Konformität hinausgeht. Die Integration der Chancenseite schafft zusätzlichen Wert und strategische Wettbewerbsvorteile.

Unser Ansatz basiert auf drei fundamentalen Enablern: IT-Architektur, Datenarchitektur, DPP-Governance, eingebettet in ein E2E-DPP-Framework. Entscheidend hierbei ist die Definition eines ganzheitlichen DPP-Zielbildes, das die fundamentalen Enabler in allen drei Ebenen beschreibt: Datenerfassung, Datenaggregation und Datenbereitstellung (siehe Abbildung 2). Dieses Zielbild bildet nicht nur die Grundlage für eine effiziente Umsetzung, sondern auch für den Betrieb von DPPs. Aufgrund unserer Erfahrung können wir fortschrittliche Marktlösungen mit innovativen Eigenentwicklungen kombinieren und sind präferierter Umsetzungspartner von Applikationen im Catena-X Datenraum.

Abbildung 2: Visualisierung eines groben DPP-Zielbildes.

Unser DPP-Framework erstreckt sich von der Strategie über die Umsetzung bis hin zum Betrieb und umfasst unter anderem:

  • Regulatorische Transparenz & Use-Case-Identifikation: Entwicklung eines klaren Verständnisses der regulatorischen Anforderungen und Identifikation von nutzenbringenden Use Cases.
  • Konzeption & Proof-of-Concept: Definition von IT-Architektur und Datenarchitektur, und DPP-Governance. Ein Proof-of-Concept (PoC) hilft, das Konzept in einer kleineren Umgebung zu testen und eventuelle Herausforderungen frühzeitig zu identifizieren.
  • Implementierung: Ganzheitliche Befähigung durch Umsetzung der Konzepte.  Sicherstellung der Nutzung bestehender IT-Bebauung, Prozesse und Verantwortlichkeiten.
  • Betrieb und Optimierung: Kontinuierlich überwachter Betrieb. Regelmäßige Optimierungen der Prozesse und Technologien sowie Anpassungen an neue Regularien und Innovationen.

Vielen Dank an meine Co-Autoren Andreas Saserklar und Santnaman Matharu.


  • [1] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz

Unser Experte

Dr. Christopher Schmidt

Senior Manager | Smart Plant Strategy, Transformation & Green Manufacturing Germany, Capgemini Invent
Seit über 10 Jahren begleitet Dr. Christopher Schmidt Kunden aus verschiedensten Branchen bei der Transformation und Optimierung ihrer Produktion. Hierbei steht der ganzheitliche Ansatz im Fokus, der nicht nur die Fertigungsprozesse selbst sondern die Fabrik als dynamisches Gesamtsystem berücksichtigt und Potentiale aus einer engen Abstimmung zwischen Produktentwicklung und Produktion hebt.

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