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Wer sein Software Lifecycle Management im Griff hat, kann entscheidende Vorteile im Innovationswettlauf erzielen

Steffen Krause
19. Aug. 2025

Die Automobilindustrie erlebt einen Umbruch, wie es ihn noch nie gegeben hat: Moderne Autos wandeln sich zunehmend zu Software-definierten Fahrzeugen. Mit dem Aufkommen des autonomen Fahrens, von vernetzten Diensten, Over-the-Air-Updates (OTA) und intelligenten Benutzererlebnissen steht Software heute im Mittelpunkt des Wertversprechens der Automobilindustrie.

Trotz der genannten Veränderung verlassen sich viele Automobilhersteller und Zulieferer weiterhin auf veraltete Entwicklungsmodelle, die starr, sequenziell und langsam sind. Man begegnet den Herausforderungen von Software teils mit Lösungen aus für Hardware. Die Folge? Verfehlte Erwartungen durch Verzögerungen bei der Markteinführung, uneinheitliche Softwarequalität und nur bedingte Möglichkeiten, schnell auf sich ändernde Kundenerwartungen und regulatorische Anforderungen zu reagieren.

Es ist Zeit für einen grundlegenden Wandel: Die Einführung eines ganzheitlichen Software Lifecycle Management (SLM)-Ansatzes, der beschleunigte OTA-Fähigkeiten, Echtzeit-Updates und eine schnelle Markteinführung in jeder Phase des Produktlebenszyklus.

Die neue Realität: SLM und Updates sind Pflicht

Von modernen Fahrzeugen wird eine kontinuierliche Weiterentwicklung erwartet. Die Verbraucher verlangen Funktionen, die wie bei Smartphones bereitgestellt werden: neue Fähigkeiten, Leistungsverbesserungen und Sicherheitspatches, die OTA zur Verfügung stehen. Bei OTA-Updates geht es jedoch nicht nur um den Bereitstellungsmechanismus. Es geht darum, Software von Anfang an mit Blick auf OTA zu entwickeln. Das bedeutet:

  • Modulare, in Versionen unterteilte und möglichst automatisiert testbare Softwarekomponenten
  • Belastbare Validierung Updates und Rollback-Mechanismen
  • In die Architektur integrierte Security-by-Design-Prinzipien
  • Rückverfolgbarkeit über Entwicklung, Test und Bereitstellung hinweg

Ein strukturierter SLM-Ansatz ist entscheidend, damit OTA-Updates zu einem strategischen Vorteil werden. Die Fähigkeit, Updates sicher und effizient bereitzustellen, erfordert vollständige Transparenz über den gesamten Lebenszyklus – von den Anforderungen über die Bereitstellung bis hin zum Feedback.

Von „Build and Forget“ zu kontinuierlicher Innovation

Das V-Modell mit seinen starren Phasen und sequenziellen Tests kann nicht mit den Anforderungen moderner Automobilsoftware Schritt halten. Monatelang auf die Integration von Feedback zu warten oder Fehler erst nach der physischen Fahrzeugproduktion zu beheben, ist nicht mehr akzeptabel.

Left-Shifting: Fehler früher und schneller finden

Left-Shifting bedeutet, Tests, Validierung und Verifizierung so früh wie möglich in den Entwicklungslebenszyklus zu verlagern. Mit Virtualisierung können Entwickler ganze Fahrzeugumgebungen – ECUs, Sensoren, Netzwerke, sogar reale Fahrbedingungen – simulieren, lange bevor physische Prototypen existieren. Das ermöglicht frühe Integrationstests von Softwarekomponenten und automatisierte Regressionstests über mehrere Konfigurationen hinweg. Zudem sind schnellere Feedback-Schleifen zwischen Entwicklungs- und Testteams möglich. Dank Virtualisierung können Teams Tausende von Testszenarien parallel ausführen, wodurch sich der Zeitaufwand für die späte Fehlersuche und physische Validierung drastisch reduziert.

Ein hybrides Paradigma: Agilität trifft auf V-Modell

Bei dieser Veränderung geht es nicht darum, sich zwischen Agilität und V-Modell zu entscheiden, sondern darum, das Beste aus beiden zu integrieren. Agilität bringt Geschwindigkeit, Flexibilität und iterative Bereitstellung. So können Teams in kleinen, überschaubaren Schritten Wert schaffen – perfekt für funktionsorientierte OTA-Updates. Das V-Modell gewährleistet Sicherheit, Compliance und Rückverfolgbarkeit – entscheidend in regulierten Branchen wie der Automobilindustrie.

Ein hybrides SLM-Framework kombiniert folgende Stärken:

  • Agilität für die Funktionsentwicklung und iterative Verfeinerung (z.B. Infotainment, ADAS-Funktionen)
  • Die Prinzipien des V-Modells können für sicherheitskritische Systeme angewendet werden (z.B. Bremsen, Lenkung, Antriebsstrangsteuerung).
  • Lückenlose Rückverfolgbarkeit von den Anforderungen bis zur Bereitstellung mit automatisierten Tools, die Änderungen in allen Phasen tracken.
  • Einführung kontinuierlicher Integration und kontinuierlicher Bereitstellung (CI/CD) mit Sicherheitsgates und Compliance-Prüfungen.

Damit ermöglicht das hybride Modell schnelle Innovationen ohne Abstriche bei der Sicherheit oder den regulatorischen Standards.

Der Architekturwandel: Von Hardware-orientiert zu Software-nativ

Software-definierte Fahrzeuge erfordern eine Software-native Automobilarchitektur. Das bedeutet im Wesentlichen Folgendes:

  • Konsolidierung von Steuergeräten/In-Car-Computing-Engines mit klaren Softwaregrenzen
  • Serviceorientierte Architekturen (SOA), die modulare, wiederverwendbare Komponenten ermöglichen
  • Standardisierte APIs und Kommunikationsprotokolle (z.B. AUTOSAR Adaptive, DDS) sind von entscheidender Bedeutung
  • Cloud-native Entwicklung für OTA-Orchestrierung und -Analytik
  • Den z.B. kombinierte Einsatz von Free-Open-Source-Software, Eigenentwicklungen und Lösungen wie z.B. Google Automotive Services (GAS)

Wenn die Architektur unter Berücksichtigung des Software Lifecycle Management entwickelt wird – mit Unterstützung für Versionierung, Abhängigkeitsverfolgung und sicherer Bereitstellung -, werden OTA-Updates nahtlos, skalierbar und zuverlässig.

SLM entscheidend für Wettbewerbsvorteile

In einer Zeit, in der die Software eines Autos innerhalb von 18 Monaten veraltet sein kann, ist die Fähigkeit entscheidend, schnell Innovationen zu entwickeln, sicher zu liefern und in Echtzeit zu aktualisieren. Das kann jedoch nur durch einen einheitlichen Ansatz für das Software Lifecycle Management erreicht werden. Dazu gehört, OTA- und Echtzeit-Update-Funktionen in die Architektur und Prozesse zu integrieren sowie Tests und Validierungen mithilfe von Virtualisierung und Simulation vorzuverlegen. Außerdem sollte ein hybrides Agile-V-Modell-Framework für Geschwindigkeit und Sicherheit eingeführt werden.   Rückverfolgbarkeit, Compliance und Sicherheit müssen in jeder Phase gewährleistet sein und es ist nötig, die Zusammenarbeit zwischen funktionsübergreifenden Teams (Software, Hardware, Sicherheit, Produkt, Cloud) zu fördern.

Vielen Dank an meinen Co-Autoren Christian Meffert.

September 9 – 12, 2025 | Wenn Sie mehr zum Thema erfahren möchten, besuchen Sie uns gerne auf der IAA Mobility 2025.

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Autor

Steffen Krause

Senior Director | Software Defined Vehicle | Capgemini Invent
Ich bin ein echter Generation-X-Nerd, ein digitaler Native durch und durch und absolut begeistert von allem, was mit Mobilität zu tun hat. Seit über 20 Jahren arbeite ich als Softwarearchitekt und Berater in verschiedenen Branchen und habe mich dabei immer mehr auf die Zukunft der Automobilindustrie spezialisiert. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft softwaregesteuert ist, und teile meine Leidenschaft gerne als Redner auf internen und externen Events.