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Quantencomputing: Der Hype ist berechtigt – doch wie fängt man an?

Christian Knopf
20. Apr. 2023

Wir erleben bemerkenswerte Fortschritte im Quantencomputing, sowohl in Sachen Hardware als auch bei Theorie und Anwendung. Jetzt ist die Zeit, sich damit zu befassen!

Wie zum Beispiel wird sich Quantum Machine Learning (QML) von klassischem Machine Learning unterscheiden? Wird es die Cybersicherheit stärken oder eher schwächen? Zusammen mit Fraunhofer und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sind wir dieser Frage nachgegangen und haben Empfehlungen entwickelt, welche Aktivitäten schon heute für die Cybersicherheit der Zukunft angemessen sind. Allgemein gibt es zwei effektive Möglichkeiten, wie sich Organisationen auf die Quantenrevolution vorbereiten können.

Der Fortschritt im Quantencomputing beschleunigt sich

Die ersten Quantencomputer – mit gerade einmal zwei und drei Qubits – wurden vor 25 Jahren vorgestellt; die ersten kommerziell erhältlichen Annealing-Systeme sind jetzt zehn Jahre alt. Die größten Fortschritte haben wir allerdings in den letzten fünf Jahren gesehen, zum Beispiel Quantenprozessoren mit mehr als zwanzig Qubits. Zu den jüngsten Entwicklungen zählen der Osprey-Chip von IBM mit 433 Qubits, erste Ergebnisse der Quantenfehlerkorrektur von Google sowie wichtige Erkenntnisse des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zur Verbindung von Quantenchips.

Vom Hype zu realistischen Erwartungen

Während Einige stetige, konkrete Entwicklungen sehen, bleiben Andere skeptisch und weisen auf fehlende Ergebnisse oder nicht eingetroffene Prognosen hin. Das bekannteste Beispiel ist die Faktorisierung in große Primzahlen: Es gibt bis heute keine konkreten Fortschritte bei Angriffen auf das RSA-Kryptosystem.

Die Fortschritte im Quantencomputing haben jedoch bereits wichtige Meilensteine hinter sich gelassen. Diese Entwicklungen als bloßen Hype abzutun, der letztlich vorübergehen wird, wird immer schwieriger. Mit hoherWahrscheinlichkeit werden wir diese Diskussion bald ad acta legen, oder zumindest auf bestimmte Forschungsgebiete zum Quantencomputing einschränken können.

Maschinelles Lernen bildet eine natürliche Symbiose mit Quantencomputing – insbesondere aus theoretischer Sicht. Die Forschung in diesem Bereich gilt als recht weit fortgeschritten. Während viele Untersuchungen bislang auf der Simulation von Quantencomputern basieren, gibt es auch schon Erfolge mit echten Quantum-Experimenten.

Das Interesse an maschinellem Lernen mit Quantencomputern ist bemerkenswert hoch: QML bietet ein hohes Potential für nutzbare Ergebnisse.  Daher haben Capgemini und das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS sich intensiv mit diesem Thema befasst. Im Auftrag des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) analysierten wir den potenziellen Einsatz von Machine Learning auf Basis von Quantencomputern sowohl für als auch gegen die Cybersicherheit. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Zusammenarbeit fasst der vom BSI veröffentlichte Bericht „Quantum Machine Learning in the Context of IT Security“ zusammen. Die aktuellen Entwicklungen unterstreichen das Vertrauen in Quantum Machine Learning als Forschungsrichtung sowie in sein zukünftiges Potenzial.

Nachzügler vergeben Chancen

Natürlich ist es nicht für alle Organisationen sinnvoll, jede der kontinuierlichen Qualitäts- und Effizienzsteigerungen bei IT-Technologien und -Produkten mitzugehen. Dennoch bedeutet Innovation stets, dass eine gewisse „Technologieinflation“ ältere Lösungen in ihrem Wert mindert. Daher ist es eine zentrale Aufgabe jeder IT-Abteilung mit dieser Inflation Schritt zu halten, indem sie Upgrades implementiert und neue Technologien einsetzt.

Denken wir als Beispiel an ein Unternehmen, welches die Einführung von Cloud-Computing weiterhin aufschiebt. Anfangs mag dies sinnvolle Zurückhaltung gewesen sein. Mittlerweile ist die Technologie allerdings ausgereift und enorm nützlich. Im Laufe der Zeit haben Unternehmen, die sich vor der Einführung gescheut haben, zahlreiche Vorteile des Cloud-Computings versäumt. Währenddessen konnten Andere Wettbewerbsvorteile erzielen. Je länger Unternehmen auf die Einführung verzichten, desto stärker fallen sie zurück.

Zeit, auf den Quantencomputing-Zug aufzuspringen?

Sicherlich ist die Quantentechnologie heute noch zu neu, zu instabil und zu begrenzt, um sie sofort in einer produktiven Umgebung nutzen zu können. In diesem Sinne besteht kein Druck, Pläne für den Einsatz von Quantencomputing im Tagesgeschäft zu entwickeln und umzusetzen.

Doch ist das alles, was zählt? Schauen wir uns zwei wichtige Aspekte im Vorfeld der Implementierung an: Zunächst gilt es, Aufmerksamkeit im Unternehmen auf die Thematik zu lenken. Sobald die Einführung ansteht, ist Wissen über mögliche Verbesserungen entscheidend, um alle an Bord zu holen. Andernfalls besteht ein großes Risiko zu scheitern: Jede neue Technologie bringt Herausforderungen mit sich, und erfordert Engagement. Die Motivation, sich Neuem zu stellen und die Herausforderungen zu bewältigen, braucht jedoch Zeit, um sich zu entwickeln. Daher ist es am besten, frühzeitig das Bewusstsein und ein grundlegendes Verständnis der Vorteile auf allen Ebenen und (IT-)Abteilungen zu entwickeln.

Der zweite Aspekt ist schwerer zu erreichen: Erfahrung. Dies bedeutet Know-how, Beteiligung und Praxis innerhalb der Organisation – eine Vorbereitung darauf, Technologien produktiv einsetzen zu können, sobald sie dafür reif sind. Im Falle des Quantencomputings ist es schwieriger, Erfahrung zu sammeln als bei anderen jüngsten Innovationen. Während etwa Cloud-Computing das Gleiche wie bisher leistet – nur auf einem andern Weg – und Unternehmen sich somit langsam annähern können, begründen Quantentechnologien einen grundlegend neuen Ansatz, Berechnungen durchzuführen, Probleme zu lösen und Fragen zu beantworten.

Ein Quäntchen Agilität ist der Schlüssel zur Quantenrevolution

Angesichts der Größe der beiden Aspekte im Vorfeld der Implementierung sowie der Unsicherheit, wann genau Quantentechnologien ihre Vorteile in der realen Welt entfalten werden, müssen Unternehmen jetzt beginnen, sich darauf vorzubereiten. Auf technischer Ebene besteht in der Cybersicherheit die Lösung für die Bedrohung durch Quantenkryptoanalyse in der Einführung von Post-Quantum-Kryptografie. Auf organisatorischer Ebene jedoch liegt die Lösung in Krypto-Agilität: Die nötigen Vorkehrungen müssen getroffen werden, um schnell zu weitreichenden Veränderungen aufschließen zu können – wann immer sie eintreten. Parallel wäre Quanten-Agilität nötig: vorbereitet zu sein, um zum Zeitpunkt X schnell die fundamentale Transformation durchlaufen zu können, die Quantencomputing bedeutet.

Es wird sich daher in Zukunft vielfach auszahlen, schon heute Bewusstsein zu bilden und den Grundstein zur gefragten Veränderungsbereitschaft zu legen. Aber wie können Organisationen diesen Einstellungswandel in Richtung Quantentechnologie am besten initiieren? Bewusstseinsbildung ist ein schrittweiser Prozess; eine interne Arbeitsgruppe kann ihn bereits mit geringen Investitionen gut vorantreiben. Diese Kerngruppe könnte zum Beispiel potenzielle Anwendungsfälle im jeweiligen Sektor des Unternehmens erkunden. Über verschiedene interne Kommunikationswege könnte sie Kolleginnen und Kollegen in allen Funktionen innerhalb der Organisation in der jeweils angemessenen Form und Tiefe über ihre Erkenntnisse auf dem Laufenden halten.

Um Wissen und Erfahrung aufzubauen, sollte der Fokus vorerst nicht auf realisierbaren Produkten liegen, die darauf abzielen, bestehende Lösungen im Unternehmen zu ersetzen. Stattdessen geht es darum, mit neuen Möglichkeiten zu experimentieren und Wege zu erkunden, die eventuell nie greifbare Ergebnisse bringen werden, aber geeignet sind, um unternehmensspezifische Leitplanken zu entdecken und Bereiche abzuklopfen, in denen Quantencomputing zu wesentlichen Wettbewerbsvorteilen führen könnte.

In jedem Sektor sammeln Vorreiter aktuell Erfahrung

So erforschen einige Finanzinstitute bereits den Einsatz von Quantencomputing zur Portfoliooptimierung und Risikoanalyse, was ihnen in Zukunft bessere Finanzprognosen ermöglichen wird. Die Pharmabranche unternimmt ähnliche Anstrengungen, um das Potenzial neuer Methoden der Arzneimittelentwicklung auszuloten.

Im Bereich der Quanten-Cybersicherheit hat Capgemini gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS eine Quantencomputing-Demonstration erstellt: einen Spam-Filter auf einem Quantencomputer. Auch wenn es sich dabei um den wahrscheinlich teuersten und einfachsten Spam-Filter aller Zeiten handelt, so ist es doch ein Proof of Concept.

Langfristiges Denken rechtfertigt Investitionen in Quantencomputing

Die Kluft zwischen Unternehmen, die organisationsweit die Aufmerksamkeit auf Quantencomputing richten und Erfahrung mit der neuen Technologie sammeln, und anderen, die das noch nicht tun, wächst allmählich. Wer unvorbereitet bleibt, setzt sich dem Risiko aus, dass die kommende Quantencomputing-Revolution ihm den Boden unter den Füßen wegziehen wird.

Zu den Risiken und Herausforderungen im Zusammenhang mit Quantentechnologie zählen – neben der großen Wahrscheinlichkeit auch für erfolglose Forschungsansätze – sicherlich die Einführungskosten sowie die Verfügbarkeit von Expertise und kompetenten Talenten. Der Preis des Nichtstuns allerdings wäre am höchsten. Daher ist es das Beste, jetzt anzufangen.

Wir wissen nicht, wann genau die Quantenrevolution stattfinden wird, aber es ist offensichtlich, dass IBM, Google und viele andere auf sie setzen – und auch im Capgemini Quantum Lab forschen wir an der Zukunft.

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Autor

Christian Knopf

Senior Manager Cyber Security
Christian Knopf ist Cyber Defense Advisor und Security Architekt bei Capgemini und setzt einen besonderen Beratungsschwerpunkt in der Security Strategie. Ebenso liegen Zukunftsthemen wie Quantenalgorithmen in seinem Interessengebiet, wie etwa die jüngsten Erfolge tiefer neuronaler Netzwerke.