Dass Probleme mit der Spannung eine reale Gefahr sind, ist spätestens seit dem Spanien-Blackout im April diesen Jahres klar. Wie lässt sich einem solchen Szenario begegnen? Diskutiert werden unter anderem neue Gaskraftwerke als Teil der Lösung für Versorgungssicherheit. Häufig wird auch ein Mangel an Investitionen ins Stromnetz als Bremse für die Energiewende angeführt. Dabei weisen gerade die europäischen Netze eine sehr geringe Auslastung auf – ein Paradoxon, das unser World Energy Markets Outlook erläutert. Zudem wird derzeit zu wenig  über eines der wichtigsten Puzzle-Teile für eine sichere aber auch wirtschaftliche Stromversorgung diskutiert: ein intelligentes Netz!

Durch smartere Technik lässt sich die Resilienz unserer Energiesysteme erhöhen. Notwendig sind dafür digitale Steuerungssysteme, netzfähige Infrastruktur und sogenannten SCADA-Technologien. SCADA steht für „Supervisory Control And Data Acquisition“ und beschreibt eine Art universelles Kontrollsystem, das Fernzugriff und Steuerung eines Stromnetzes und seiner Komponenten ermöglicht.

Erzeuger, Netz und Verbraucher miteinander verbinden

Ein intelligentes Netz oder „Smart Grid“ ist weit mehr als ein intelligenter Stromzähler. Es ist ein dynamisches, lernfähiges System, das alle Erzeugungs- und Verbrauchselemente miteinander vernetzt – von Großkraftwerken bis zur PV-Anlage auf dem Hausdach – und sie in Balance hält bzw. bringt.

Kernfunktionen eines Smart Grid umfassen:

  • Kombination von Echtzeitdaten aus zentralen Kraftwerken (Gas, Wasserkraft)
  • Integration variabler erneuerbarer Energien (Wind, Solar)
  • Einbindung dezentraler Speicher (Elektrofahrzeuge, Batteriespeicher, Elektrolyseure)
  • Simulation der Netzauslastung und zukünftiger Erzeugungsmixe mit digitalen Zwillingen
  • Prognosen und damit vorausschauende Steuerung
  • Cybersicherheit und Schutz kritischer Infrastruktur

Netzbetreiber können durch diese Funktionen frühzeitig erkennen, wenn z. B. ein Kohlekraftwerk herunterfährt oder Solarstrom am Nachmittag Spitzen erreicht, und können gezielt gegensteuern, bevor es zu Instabilitäten kommt. Zudem hilft automatisiertes „Grid Balancing“.

Clever ausbalancieren, was da ist

Netzstabilität ist dank Grid Balancing kein Zufall, sondern das Ergebnis eines hochautomatisierten Zusammenspiels:

  • Leistungselektronik und Anlagensteuerung reagieren in Millisekunden auf Frequenz- und Spannungsschwankungen
  • Konventionelle Kraftwerke liefern rotierende Reserve, während Erneuerbare synthetische Trägheit bereitstellen
  • Intelligente Umspannwerke, Transformatoren und Batteriespeicher stabilisieren das Netz in Echtzeit

Das Netz reguliert sich somit selbst, ohne Blackouts und ohne, dass Anlagenbetreiber Strafzahlungen leisten müssen, die im EEG für bestimmte Vergehen vorgesehen sind.

Praxisbeispiele – Was intelligente Netze heute schon leisten

Die folgenden zwei Fallbeispiele zeigen eindrucksvoll, welches Potenzial intelligente Netze haben.

Fallbeispiel 1: Wildpoldsried – Wie ein Dorf zum Smart-Grid-Pionier wurde

Die bayerische Gemeinde Wildpoldsried im Allgäu erzeugte zwischen 2011 und 2013 rund 500 % mehr erneuerbare Energie, als sie selbst verbrauchte. Das führte zu Spannungsschwankungen und drohender Netzüberlastung.

Im Rahmen des IRENE-Projekts (Integration Regenerativer Energien und Elektromobilität) wurden technische und wirtschaftliche Lösungen gefunden. Innovative Software- und Hardware-Lösungen umfassten beispielsweise:

  • Rund 200 automatisierte Messpunkte im lokalen Netz
  • Spannungsregelung über intelligente Transformatoren und Wechselrichter
  • Integration von Elektrofahrzeugen und eines 138 kWh / 240 kW Batteriespeichers

Die Ergebnisse:

  • Vermeidung teurer Netzverstärkungen
  • Dynamisches Laden von E-Fahrzeugen mit variabler Preisgestaltung
  • 80 – 90 % weniger Abregelung von erneuerbarem Strom
  • Investitionsvolumen: ca. 6 Mio. €, Amortisation in 3–5 Jahren

Fallbeispiel 2: Dänemark – Elektrolyseure als Netzstabilisierer

In einer Studie in den Jahren 2021–2022 in Dänemark wurde untersucht, wie Elektrolyseure zur Netzfrequenzstabilisierung beitragen können und dabei Wasserstoff-Technologie profitabel machen.

Die Ergebnisse:

  • +57 % zusätzliche Einnahmen durch Teilnahme am Regelenergiemarkt
  • Beispielrechnung: 50 MW Elektrolyseur, 20 % Auslastung, 100 €/MWh → zusätzliche Umsätze in Höhe von ~2 Mio. €/Jahr
  • Indirekte Vorteile: Vermeidung von Abregelung, Verzögerung teurer Netzausbauten

Wer profitiert, wenn intelligente Netze echten Mehrwert schaffen?

Intelligente Stromnetze sind längst mehr als technische Spielerei – sie sind ein strategischer Hebel. Ihre Wirkung entfaltet sich dort, wo klassische Infrastruktur an Grenzen stößt und digitale Lösungen neue Spielräume eröffnen. Am Ende profitieren Netzbetreiber, Regulierungsbehörden und Verbraucher:innen:

Netzbetreiber: Stabilität sichern, Investitionen optimieren

Für Übertragungs- und Verteilnetzbetreiber (TSOs/DSOs) bedeutet ein Smart Grid vor allem eines: Kontrolle in Echtzeit. Durch den Einsatz von intelligenter Sensorik, Batteriespeichern und digitalen Steuerungssystemen lassen sich bestehende Leitungen effizienter nutzen. So können teure Netzausbauprojekte verschoben oder ganz vermieden werden – mit Einsparpotenzialen von mehreren Milliarden Euro jährlich allein in Deutschland.

Zudem verlängert sich die Lebensdauer der bestehenden Infrastruktur, wenn sie smarter betrieben wird. Investitionen in SCADA-Modernisierung und Smart Metering zahlen sich doppelt aus: Sie verbessern die Netztransparenz und verkürzen Reaktionszeiten bei Störungen deutlich. Studien zeigen, dass sich die Ausfallzeiten um über fünf Prozent reduzieren lassen und Engpasskosten nahezu vollständig entfallen.

Regulierungsbehörden und Märkte: Neue Geschäftsmodelle durch Flexibilität

Auch für Regulierungsbehörden und Marktakteure eröffnen sich neue Perspektiven. Elektrolyseure, die bislang als reine Verbraucher galten, können als bidirektionale regelbare Netzressourcen eingesetzt werden und so zusätzliche Einnahmen generieren. In Dänemark führte die Teilnahme am Regelenergiemarkt zu einer Umsatzsteigerung von über 50 Prozent.

Ähnliches gilt für aggregierte Pools aus Elektrofahrzeugen und Batteriespeichern. Sie bieten netzdienliche Leistungen und schaffen neue Erlösmodelle, etwa durch die Bereitstellung von Frequenzregelung. Für Betreiber und Nutzer bedeutet das: wirtschaftlicher Nutzen und Beitrag zur Netzstabilität gehen Hand in Hand.

Verbraucher*innen: Mehr Kontrolle, weniger Kosten

Auch auf der Verbraucherseite zeigen sich Vorteile. Smart Meter ermöglichen eine präzisere Steuerung des eigenen Energieverbrauchs – und fördern bewussteres Verhalten. Haushalte, die ihre Nutzung an Echtzeitdaten und dynamische Tarife anpassen, können ihren Energieverbrauch um bis zu 15 Prozent senken.

Besonders sichtbar wird der Nutzen bei der Integration von Elektromobilität: Wer sein Fahrzeug zu Zeiten niedriger Strompreise lädt, spart nicht nur Geld, sondern entlastet gleichzeitig das Netz. In britischen Haushalten konnten die Ladekosten so um rund sieben Prozent gesenkt werden.

Vom Buzzword zur Basisinfrastruktur

„Smart Grid“ und „Grid Balancing“ sind längst keine bloßen Schlagworte mehr – sie sind strategische Notwendigkeiten. Angesichts des Zuwachses erneuerbarer Energien und Elektrifizierung müssen Stromnetze intelligenter, flexibler und widerstandsfähiger werden.

Mit einem richtigen Ökosystem aus Partnern können Netzbetreiber diesen Wandel aktiv gestalten: mit digitaler Intelligenz, modernisierter SCADA-Technologie und präzise geplanter Infrastruktur wie Batteriespeicher, Elektrolyseure, Hybridkraftwerke und neuen Leitungen. Die Beispiele aus Wildpoldsried und Dänemark zeigen: Wer frühzeitig auf intelligente Netze setzt, vermeidet teure Ausbauten und erschließt neue Erlösquellen. Es gilt: digital denken, bevor der erste Spatenstich erfolgt. Wer Infrastruktur von Anfang an intelligent plant, schafft die Grundlage für ein robustes, flexibles und zukunftssicheres Stromnetz.