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Co-DesignNext: Die Zukunft des integrierten Produkt- und Produktionsdesigns 

Patrik Sojda
27.06.2024
capgemini-invent

Unternehmen geraten immer stärker unter Druck. Beispielhaft hierfür ist der spürbar ansteigende Wettbewerbsdruck für die deutsche Automobilindustrie. Chinesische Automobilhersteller wie BYD, Nio und Xpeng profitieren von niedrigeren Lohnkosten und gleichzeitig einer starken staatlichen Wirtschaftsförderung, wodurch sie ihre Fahrzeuge bis zu 25% günstiger anbieten können. Tesla setzt stark auf Skaleneffekte in der eigenen Fertigung. So setzt das Unternehmen systematisch etwa Gigapressen ein, die es ermöglichen, Bauteile und Produktionsschritte im Karosseriebau zu reduzieren. Aber auch in anderen Industrien wie der Luft- und Raumfahrt, dem verarbeitenden Gewerbe oder im Mittelstand gilt es, die eigene Marktposition in Zeiten einer starken Inflation, gleichzeitigem Fachkräftemangel und zurückhaltender Marktnachfrage zu stärken. 

Ein wichtiger Hebel zur Verbesserung ist die frühzeitige Integration und parallele Optimierung von Produkt- und Produktionsdesign. Was Unternehmen bereits seit Jahrzehnten unter Design for Manufacturing (DfM), Concurrent Design (Co-Design) oder Simultaneous Engineering kennen, bedarf allerdings einer deutlichen Weiterentwicklung. Das vorhandene Verbesserungspotenzial zeigt sich in den von uns durchgeführten Projekten in verschiedenen Industrien. So konnten Kunden die Gesamtkosten um 10% senken, die Entwicklungs- und Industrialisierungszeit um 30% kürzen und den Ausschuss um 15% reduzieren.   

Co-DesignNext – Vier innovative Elemente 

Um die Potenziale von Co-Design optimal zu nutzen, haben wir vier Kernelemente identifiziert, die die Entwicklung hin zu Co-DesignNext prägen. Diese Elemente umfassen sowohl veränderte Denk- und Arbeitsweisen als auch den Einsatz digitaler und KI-Technologien. Unsere Erkenntnisse basieren auf praktischen Erfahrungen aus einer Vielzahl von Co-Design Transformationen und technologischen Weiterentwicklungen. 

Abbildung 1: Vier innovative Elemente des Co-DesignNext

1. Neugestaltung des Wertstroms

Die heutige Organisation im Bereich Entwicklung und Industrialisierung folgt primär einer traditionellen Arbeitsteilung nach Aufgaben und Funktionen, wobei das Produktdesign oft zu sehr im Mittelpunkt steht. Zukünftig muss der Fokus stärker auf den Kunden gerichtet werden, wobei die Fertigbarkeit und Beschaffbarkeit des Produkts als entscheidende Wettbewerbsfaktoren betrachtet werden müssen. Kunden erwarten ein Produkt, das ihren Anforderungen entspricht und schnell verfügbar ist. Unternehmen benötigen einen ganzheitlichen Blick auf die Gesamtdurchlaufzeit, Gesamtkosten und auf die spätere Fertigung. Reibungsverluste zwischen verschiedenen Abteilungen führen zu Wertverlusten.  

Deshalb ist es notwendig, den Wertstrom neu zu gestalten und anschließend die Organisation und Prozesse darauf auszurichten. Unsere Kunden definieren dabei häufig abteilungsübergreifende Teams, die durchgängige Verantwortung für das Produkt- und Produktionsdesign übernehmen. Um erfolgreich zu sein, erfordert dies ein neues Incentivierungs- und Steuerungskonzept, das folgende wesentliche Elemente umfasst: 

  • Time-to-Volume & Time-to-Stable-Production: Fokus auf die Zeit bis zur vollen Produktionskapazität und stabilen Produktion. 
  • Gesamtkostenbetrachtung: Einbeziehung aller Kosten, einschließlich Produktion, Beschaffung, Wartung und Upgrades. 
  • Integrierte Reifegradmodelle: Parallel verlaufende Steigerung der Reifegrade von Produkt und Produktion. 
  • Qualitätsintegration in das Produkt- und Produktionsdesign: Frühzeitige Einbindung von Qualitätsaspekten und Erhöhung der Stabilität. 

Die Digitalisierung wird hierbei eine noch größere Rolle in der Wertstrombetrachtung einnehmen. Traditionelle Darstellungen des Material- und Informationsflusses sind nicht mehr ausreichend, um den gesamten Wertstrom abzubilden und Bruchstellen zu erkennen. Dafür müssen Datenobjekte spezifiziert und mögliche Probleme bei der Erfassung und Nutzung identifiziert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Abbildung der Datenstrukturen und -formate in PLM- und ERP-Systemen sowie deren Übertragung zwischen diesen Systemen. Nur durch diesen ganzheitlichen Ansatz werden eine stringente Kundenfokussierung, eine effiziente Unternehmensorganisation und die Befähigung der Organisation durch digitale Technologien und KI ermöglicht. 

2. Virtuell integriertes Produkt- und Produktionsdesign 

Die virtuelle Produkt- und Produktionsentwicklung ermöglicht eine effizientere und integrierte Arbeitsweise, beispielsweise zwischen der Produktentwicklung, dem Manufacturing Engineering, der Qualitätssicherung und dem Einkauf. Unternehmen, die erfolgreich Co-Design weiterentwickeln, berücksichtigen primär drei Aspekte: 

Erstens erfordert es einen Kulturwandel hin zu einer vollständig integrierten virtuellen Arbeitsweise. In der Produktentwicklung ist es seit langem Standard, auf Grundlage digitaler Modelle zu arbeiten. Beim digitalen Produktionsdesign und insbesondere bei der Integration mit dem Produktdesign gibt es jedoch noch erhebliche Unterschiede in der Praxis. Unternehmen werden zunehmend Applikationsplattformen nutzen und flexibel erweitern, um ihre Produktion virtuell zu planen und eine nahtlose Integration zwischen Design und Produktion zu erreichen. Eine hochauflösende 3D-Darstellung wird dabei immer wichtiger, da sie die Kommunikation und Abstimmung erheblich verbessert. Dies unterstützt die verstärkte Fokussierung auf die Produktion und stellt sicher, dass die Anforderungen von Anfang an im Produkt berücksichtigt werden. 

Zweitens werden verstärkt Simulationsmöglichkeiten eingesetzt, um Vorhersagen über Gesamtdurchlaufzeiten, Gesamtkosten, Qualität und spätere Produktionsszenarien zu treffen. Dabei werden verschiedene Fertigungstechnologien in einer virtuellen Umgebung simuliert. Derzeit wird noch zu sehr auf bewährte Technologien gesetzt. Der Trend zur Automatisierung und die technologischen Fortschritte bei mobilen Robotern sowie der steigende Wettbewerbsdruck werden dazu führen, dass der betrachtete Lösungsraum für die Produktion deutlich erweitert werden muss und die Auswirkungen entsprechend simuliert werden müssen. 

Drittens ist eine gemeinsame Modellierungssprache von zentraler Bedeutung, um die Zusammenarbeit zwischen der modellbasierten Arbeitsweise im Produkt- und Produktionssystem zu ermöglichen. Model-Based Systems Engineering (MBSE) bietet hierfür ein verknüpftes Prozess- und Modellierungskonzept, das als Grundlage genutzt werden kann. 

3. Die richtige Applikations- und Datenarchitektur

Um eine nahtlose Integration von Produkt- und Produktionsdesign zu erreichen, müssen Applikationsplattformen wie PLM- und ERP-Systeme sowie Autorentools (z.B. CAD, CAM) umfassend vernetzt werden. Diese Systeme unterstützen ganzheitlich die Arbeitsabläufe. Durch diese Integration kann eine durchgängige Datenverfügbarkeit geschaffen werden.  

Diese Vernetzung ermöglicht die Generierung der Produkt- und Produktionsdaten im PLM-System, von wo sie anschließend ins ERP-System transferiert werden können. Der entscheidende Vorteil dabei ist die gemeinsame Nutzung der Applikations- und dazugehörigen Datenplattformen. Diese erhöht die Datenqualität in der frühen Planungsphase durch fortlaufende Anreicherung von Informationen, zum Beispiel durch Simulationsergebnisse aus Taktzeit- und FEM/CAE-Simulationen. 

Zusätzlich zur Integration der Applikationsplattformen sind zwei weitere Aspekte in modernen Architekturen von entscheidender Bedeutung: Microservices für Co-Design und Datenprodukte.  

Microservices ermöglichen schnell umsetzbare, unabhängige Lösungen und fördern eine modulare und damit flexible und skalierbare Architektur. Sie erhöhen die Geschwindigkeit und Innovationskraft, da Unternehmen nicht mehr ausschließlich auf große Plattformanbieter angewiesen sind. Dadurch lassen sich beispielsweise schnell Simulationslösungen von verschiedenen Anbietern in die bestehende Applikationslandschaft integrieren.  

Datenprodukte werden durch das Business definiert und verantwortet. Diese professionalisierten Datenstrukturen und -prozesse gewährleisten die Verfügbarkeit und Qualität der Daten. Datenprodukte ermöglichen eine gezielte Nutzung der Daten für Simulationen, was die gemeinsame Entscheidungsfindung verbessert. 

4. Einsatz von Generativer KI 

Generative KI wird zu den entscheidenden Innovationstreibern gehören. Wir sehen drei zukünftige Anwendungsbereiche im Co-DesignNext:  

Erstens werden Generative KI-basierte Agentensysteme die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen in der frühen Entwicklungsphase weiter verbessern, indem sie schnellere Feedbackschleifen ermöglichen. Beispielsweise kann nach der virtuellen Erstellung des Produktionsprozesses ein Agent unmittelbar die Anforderungen an das Produktdesign ableiten. Andere Agenten bewerten frühzeitig die Verfügbarkeit von Lieferanten oder Standardteilen für das Produkt und schlagen darauf basierend Änderungen vor. Qualitätsagenten bewerten die Designs und unterstützen bei der Ableitung und Durchführung von Mitigationsmaßnahmen.  

Zweitens wird Generative KI zukünftig noch viel stärker auf Simulationen zurückgreifen. So können verschiedene Produktionskonzepte modelliert, simuliert und bewertet werden. Die Kreativität der KI wird dadurch gezielt genutzt und vergrößert den betrachteten Lösungsraum, um Gigapressen ähnliche Anlagen oder Roboter in der Fertigung zu ermöglichen.   

Drittens kann Generative KI zukünftig die Reifegradbewertung von Produkt- und Produktionssystemen durchführen. Dabei können sich verschiedene Stakeholder in ihrer jeweiligen Fachsprache Informationen beschaffen, inwieweit die parallele Entwicklung von Produkt und Produktion vorangeschritten ist. Dadurch erleichtert sie die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Ebenso ist neben der technischen auch eine organisatorische Reifegradbestimmung möglich. Innerhalb von Teams wird die Zusammenarbeit und Abstimmung bewertet, was Unternehmen dabei hilft, Schwachstellen im Co-Design gezielt zu adressieren. 

Fazit 

Co-DesignNext bietet ein enormes Potenzial für Unternehmen, das heute mehr denn je genutzt werden muss. Die Ausrichtung am Wertstrom, die virtuelle Arbeitsweise, Daten- und Integrationsplattformen sowie Generative KI ermöglichen es bereits, kurzfristige Mehrwerte zu erzielen. Dabei ist es entscheidend, den Menschen in den Mittelpunkt der Transformation zu stellen, alte Arbeitsweisen aufzubrechen und den Kunden stärker in den Fokus zu rücken. 

Vielen Dank an unseren Co-Autoren Christoph Klavers.

Unsere Experten

Patrik Sojda

Director | Intelligent Industry, Capgemini Invent Germany
Als Direktor für Intelligent Industry – Smart Plant bringe ich über zehn Jahre Erfahrung in Industrie und Beratung mit Schwerpunkt auf digitaler Transformation im Operationsbereich mit. Mein Fokus liegt darauf, durch digitale Technologien Mehrwert zu schaffen, wobei der Mensch stets im Zentrum der Transformation steht. Mein Arbeitsgebiet umfasst die Optimierung industrieller Systeme und den Einsatz von Generative AI. Ziel ist es Durchlaufzeiten zu verkürzen und die Produktivität durch interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie effektive Mensch-Maschine-Interaktion zu steigern.

Patrick Walz

Senior Manager | Smart Plant, Capgemini Invent Germany
Als Head of Co-Design berate ich erfolgreich Kunden im Bereich der digitalen Transformation, insbesondere an der Schnittstelle von Produkt- und Produktionsdesign. Ich habe eine Vielzahl erfolgreicher Transformationsprojekte in den Branchen Aerospace-, Automotive- und Manufacturing durchgeführt. Dabei unterstütze ich Unternehmen, ihre Markteinführungszeiten zu verkürzen, Anlaufphasen zu optimieren und die Gesamteffizienz zu steigern, um ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem dynamischen Marktumfeld zu sichern.

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