Strategisches Denken wird in einer Welt voller Unsicherheit, Komplexität und wachsender Herausforderungen zur unverzichtbaren Fähigkeit. Politische Kurzfristigkeit, rechtliche Rahmenbedingungen und externe Krisen wie Klimawandel oder geopolitische Spannungen verlangen von Behörden mehr denn je einen klaren Kompass.

Der öffentliche Sektor befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen den kurzfristigen Anforderungen der Politik und den mittel- bis langfristigen, auf Kontinuität ausgerichteten Zielen der Verwaltung. Diese unterschiedlichen, stellenweise konfligierenden Handlungsrationalitäten erschweren strategisches Denken im Behördenkontext. Im Vergleich zum Privatsektor bestimmen und begrenzen zudem rechtliche Vorgaben sowie Erlasse und Weisungen den Entscheidungsspielraum von Behörden im nachgeordneten Bereich.

Auf der anderen Seite fordern externe Rahmenbedingungen der viel zitierten VUCA-Welt – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Hand erheblich heraus. Zunehmende geopolitische Spannungen im Einklang mit globalwirtschaftlicher Fragmentierung sowie deren vielschichtiges Zusammenspiel, auf den Punkt gebracht durch den Trendbegriff der „Polykrise“, veranschaulichen das unsichere und komplexe Umfeld, dem sich auch der öffentliche Sektor nicht entziehen kann. Hinzu kommen strukturelle Herausforderungen wie der Klimawandel und die demographische Alterung, deren Auswirkungen sich immer akuter zeigen. Die Vorhersehbarkeit nimmt ab und Disruptionen häufen sich. Damit wächst das Risiko, dass strategische Pläne bereits überholt sind, bevor sie in die Umsetzung kommen.

Sind Strategien in der heutigen Welt deshalb obsolet? Auch wenn der Gedanke naheliegend erscheint, sind wir vom Gegenteil überzeugt. Strategie ist heute wichtiger denn je. Mehr noch: Strategie gewinnt zukünftig an Bedeutung und wird von einem „nice to have“ zum „must have“. Gerade aufgrund des VUCA-Umfelds steigt die Relevanz von strategischem Denken. Dazu muss darunter aber mehr verstanden werden als statische, langfristige Planung im Sinne eines formalisierten Strategieprozesses. Vielmehr sollten Strategien und deren Implementierung in der Lage sein, sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen. In anderen Worten: Sie muss sich flexibel, dynamisch und adaptiv zeigen. Erst dann bietet sie einen Fixpunkt im Kontext vielfältiger Unwägbarkeiten und hilft, die Aufgaben einer Organisation unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu priorisieren und sinnstiftend zu bewältigen.

Fünf Treiber im Besonderen stellen die Steuerungs- und Handlungsfähigkeit des öffentlichen Sektors auf die Probe und verdeutlichen die Notwendigkeit eines strategischen Ansatzes.

Abbildung 1: Fünf Treiber des öffentlichen Sektors

Vertrauen: Dem Verlust entgegenwirken

Vertrauen ist die Währung des öffentlichen Sektors. Und diese Währung erlebt gerade eine massive Inflation. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger verlieren das Vertrauen in den Staat – und damit in seine demokratischen Institutionen. Laut aktuellen Erhebungen besitzen nur noch 35 % der Bevölkerung ein hohes Vertrauen in den Staat.1 Damit liegt Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt.2 Noch weniger, nämlich knapp jeder Vierte, vertritt die Ansicht, dieser sei in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. Umgekehrt halten sieben von zehn Personen die öffentliche Verwaltung für überfordert.3 Diese Zahlen korrespondieren mit verwaltungsinternen Befragungen, wo die Hälfte der Behördenleitenden die Leistungsfähigkeit von Staat und Verwaltung in Frage stellt.4

Vertrauen allerdings bedingt an erster Stelle ein effektives öffentliches Handeln. Deswegen ist die Grundlage für die Wiederherstellung des verlorenen Vertrauens die Wiederherstellung der Problemlösungskompetenz der öffentlichen Verwaltung. Dafür wiederum bedarf es einer Stärkung behördlicher Kompetenzen in Themenfeldern wie Aufgabenpriorisierung, Maßnahmenumsetzung, Anpassung an Veränderungen oder einer wirkungsorientierten Ressourcensteuerung, zum Beispiel im Rahmen eines systematischen Portfoliomanagements. Auf den Punkt gebracht: Einer Strategie sowie deren Umsetzung.

Abbildung 2: Vertrauen der Bevölkerung in den Staat

Haushaltsrahmen: Es ist nicht nur die Schuldenbremse

Die Quadratur des Kreises – vor dieser Aufgabe stehen öffentliche Haushalte angesichts knapper Ressourcen bei gleichzeitig steigenden Anforderungen. Die Bewältigung etlicher Krisen, unter anderem der Flüchtlingskrise, der COVID-19-Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verursachten in den vergangenen Jahren enorme Haushaltsbelastungen. Gleichzeitig bestehen strukturelle Herausforderungen, die auf der Ausgabenseite Handlungsspielräume merklich einschränken. Dazu gehören fehlende Tragfähigkeitskonzepte für die Sozialversicherungssysteme, ein hoher Anteil rechtlich gebundener Ausgaben im Bundeshaushalt, ungelöste Finanzierungsfragen der Dekarbonisierung, sowie steigende Zinslasten durch den extremen Anstieg der Verschuldung. Daran ändert auch die jüngste Lockerung der Schuldenbremse nichts: Zwischen 2027 und 2029 klafft eine Einnahmen-Ausgaben-Lücke von 172 Mrd. Euro im Bundeshaushalt.5 Auch die Kommunen ächzen unter dem Druck mit einem Rekord-Defizit von 25 Mrd. Euro in 2024.6

In Konsequenz steigt der Einspardruck und finanzielle Gestaltungsoptionen werden sich absehbar verringern. Angesichts dessen gewinnen die Priorisierung von Aufgaben und der zielgerichtete Mitteleinsatz an Bedeutung. Hier kann eine Behördenstrategie helfen, diese zu identifizieren und mittels erprobter Methoden in der Organisation zu verankern. Zum Beispiel dient die Methode der Objectives and Key Results dazu, strategische Ziele zu priorisieren und wirkungsorientiert in die Umsetzung zu bringen. Der Einsatz von Spending Reviews bietet ebenfalls die Möglichkeit, stärker ergebnisorientiert zu arbeiten, indem sichergestellt wird, dass Budgets im Hinblick auf geplante Ziele effektiv und effizient genutzt werden.7

Technologie: Schritt halten mit dem Fortschritt

Technologische Entwicklungen beeinflussen Behörden in einer Innen- und Außenperspektive. Aus der Innenperspektive transformieren Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz die Arbeitsweise von Behörden selbst: Automatisierungslösungen übernehmen Routineaufgaben und setzen Ressourcen für wichtigere Tätigkeiten frei; KI-Anwendungen unterstützen datengetrieben Entscheidungsprozesse. In der Außenperspektive müssen Behörden ein komplexer werdendes technologisches Umfeld navigieren und mit digitalen Dienstleistungen den steigenden Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht werden. Darüber hinaus erfordert die steigende Innovationsdynamik eine Verankerung von Cybersicherheit auch auf strategischer Ebene, um kritische Infrastrukturen gegen zunehmend raffinierte Angriffe zu schützen.

Letztendlich verlangt der rasante technologische Fortschritt von der öffentlichen Verwaltung eine ständige Anpassungsfähigkeit. Die doppelte Herausforderung besteht darin, intern Technologie sinnvoll einzusetzen und extern den technologischen Wandel kompetent zu begleiten. Beide Dimensionen sollten in behördliche Strategien integriert werden. Beispielhaft könnte intern die Etablierung von Digitalkompetenzen als strategisches Handlungsfeld verankert werden, während mithilfe Methoden der strategischen Vorausschau der Einfluss zukünftiger Veränderungen auf die behördliche Aufgabenwahrnehmung antizipiert wird.

Nachhaltigkeit: Die Verwaltung als Vorbild

Die Transformation zur klimaneutralen Verwaltung entwickelt sich zum Prüfstein staatlicher Handlungsfähigkeit. Das verfassungsrechtlich verankerte Ziel der Klimaneutralität bis 2030 für Bundesbehörden – mit vergleichbaren Vorgaben in der Mehrheit der Bundesländer – setzt die öffentliche Hand unter erheblichen Druck. Dabei steht nicht die klassische Regulierungsfunktion im Fokus, sondern die Reduktion eigener Treibhausgasemissionen. So erweist sich allein das öffentliche Beschaffungswesen, das jährlich Milliardensummen bewegt, als ein gewichtiger Hebel für mehr Nachhaltigkeit.

Die vielschichtigen und vernetzten Auswirkungen des Klimawandels erfordern einen ganzheitlichen Ansatz. Die verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit – ökonomisch, ökologisch und sozial – lassen sich nicht isoliert betrachten, sondern verlangen integrierte Strategien mit messbaren Zielen und nachvollziehbaren Indikatoren. Nachhaltigkeit erhöht die Relevanz strategischer Ansätze in Behörden, weil sie langfristige, koordinierte Maßnahmen einfordern, anstatt kurzfristige Einzelmaßnahmen umzusetzen. Eine strategische Verankerung von Nachhaltigkeit in allen Verwaltungsbereichen, im Sinne eines „whole of government“-Ansatzes, wird damit zur Grundvoraussetzung für die Zukunftsfähigkeit des öffentlichen Sektors.  

Demographischer Wandel: Fachkräftemangel als Veränderungsanreiz

„Do more with less“ gilt neben dem Haushaltsrahmen auch für die Personalsituation der öffentlichen Hand. Der durch den demographischen Wandel induzierte Fachkräftemangel stellt die Behördenlandschaft vor etliche Probleme.8 Quantitativ verstärkt sich dieser Treiber mit dem Ausscheiden geburtenstarker Jahrgänge in den kommenden Jahren. Bis 2030 treten über Bund, Länder und Kommunen hinweg 1,3 Millionen Beschäftigte in den Ruhestand und damit knapp ein Drittel des gesamten öffentlichen Dienstes.9 Dazu kommt die qualitative Dimension des Fachkräftemangels, denn bereits heute existiert mit Blick auf bestimmte Organisationen und Kompetenzen – etwa in Ausländerbehörden oder im IT-Bereich – eine hohe Zahl unbesetzter Stellen. Allein zur Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung wird davon ausgegangen, dass Stand heute rund 39.000 IT-Fachkräfte fehlen.10 Dem fehlenden Personal steht allerdings ein kontinuierliches Aufgabenwachstum gegenüber, hervorgerufen durch politische Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene. Der herkömmliche Lösungsansatz, neue Aufgaben mit neuen Stellen zu bewältigen, ist mit dem demographischen Wandel schlicht nicht mehr praktikabel

Eine strategische Personalplanung, die externe und interne Einflussfaktoren sowie die langfristigen Ziele einer Organisation einbezieht, eingebettet in eine übergeordnete Behördenstrategie, ist darum unerlässlich, um einer strukturellen Überforderung des öffentlichen Dienstes entgegenzuwirken.

Fazit: Strategie als Schlüssel für Zukunftsfähigkeit

Fünf zentrale Treiber – sinkendes Vertrauen in staatliche Institutionen, finanzieller Einspardruck, technologischer Fortschritt, Nachhaltigkeit sowie der demographische Wandel – verdeutlichen, dass Organisationen des öffentlichen Sektors mehr denn je von einer auf sie zugeschnittenen Strategie profitieren können. Zumindest, wenn sie auch zukünftig ihre Steuerungs- und Handlungsfähigkeit aufrechterhalten wollen. Ohne einen strategischen Ansatz laufen Behörden Gefahr, ineffektiv zu handeln, reaktiv statt proaktiv zu agieren und den wachsenden Anforderungen bei gleichzeitig sinkenden Ressourcen nicht gerecht zu werden.

Vielen Dank an meinen Co-Autoren Simon Zeiser!