Geopolitische Unsicherheiten erschweren die ohnehin komplexe Zukunftsplanung zusätzlich. Daher überrascht es nicht, dass viele Automobilunternehmen zunehmend Chancen in anderen Branchen ins Auge fassen.

Doch Unterschiede zwischen den Industrien machen eine einfache Übertragung von Technologien und den branchenübergreifenden Einsatz von Fachkräften schwierig. Es reicht nicht aus, Automobilkompetenz in weitere Branchen zu bringen – die Expertise muss für jeden Sektor individuell übersetzt werden. Das bedeutet, die branchenspezifischen Rahmenbedingungen, Stakeholder-Dynamiken, regulatorische Anforderungen und operative Geschwindigkeiten der jeweiligen Industrie zu berücksichtigen.

Mit ihrer weltweit anerkannten Ingenieurskunst, Fertigungsexzellenz und Zuverlässigkeit steht die Automobilindustrie möglicherweise am Beginn einer neuen Ära des branchenübergreifenden Wandels.

Von der Straße in die Luft: Automobilexpertise in Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigung

Die Vorstellung, dass Automobilunternehmen ihre Expertise problemlos auf die Luft- und Raumfahrt übertragen könnten, stößt oft auf Skepsis – zu Recht. Diese Branchen arbeiten mit anderen Taktungen und Regularien: geringe Stückzahlen, extreme Zuverlässigkeit, lange Zertifizierungszyklen. Allerdings sind diese Unterschiede keineswegs unüberwindbare Hürden.  Vielmehr bieten sie eine Chance, die Fähigkeiten der Automobilindustrie auf neue Anwendungsfelder zu übertragen und einen Beitrag zu leisten – gerade in Sektoren, die in den kommenden Jahren massiv skalieren müssen.

  • MBSE & Systems Engineering: Die Entwicklung softwaredefinierter Fahrzeuge hat eine ganze Generation von Ingenieuren hervorgebracht, die mit modellbasierter Systementwicklung (MBSE) vertraut sind – ein entscheidender Skill für Luft- und Raumfahrtprojekte.
  • Industrielle Skalierung & Kosteninnovation: Die modularen Architekturen und die strikte Kostendisziplin der Automobilbranche sind für staatlich finanzierte Verteidigungsprojekte von großem Nutzen.
  • Validierung & Testautomatisierung: Die Automobilindustrie ist bekannt für ihre kompromisslose Testkultur. Diese Effizienz wird nun genutzt, um Qualifizierungszyklen für Avionik-Software und Embedded Systems zu beschleunigen.

Wenn Automobil auf industrielle Technologie trifft

Auch andere Branchen durchlaufen derzeit ähnliche technologische Transformationen wie die Automobilindustrie. Die Entwicklung vom mechanischen Fahrzeug zum vernetzten System auf Rädern ist hochrelevant für smarte Fabriken und industrielle Automatisierung.

  • Edge AI & Embedded Systems: Embedded-Software-Know-how aus der Automobilindustrie kann Roboter, autonome Gabelstapler und Bildverarbeitungssysteme modernisieren – mit Echtzeitreaktion und Sicherheitslogik aus der Fahrzeugautomatisierung.
  • Digitale Zwillinge & virtuelle Inbetriebnahme: Simulation-first-Ansätze aus der Automobilentwicklung werden nun zur Optimierung von Wartung und Prozesssteuerung in Industrieanlagen und Halbleiterfabriken eingesetzt.

Energie & Infrastruktur: Alle Wege führen ins Netz

Die Elektromobilität hat neue Kompetenzen in der Automobilindustrie hervorgebracht – etwa in Leistungselektronik, Thermomanagement und Energiesystemintegration. Diese Fähigkeiten sind zunehmend gefragt:

  • Grid-Edge-Innovation: Batteriemanagementsysteme und Wechselrichterdesigns aus der Automobilentwicklung können für stationäre Speicher, Solarinverter und intelligente Netzkomponenten adaptiert werden.
  • Wasserstoff-Ökosysteme: Forschung und Entwicklung im Bereich Brennstoffzellen – insbesondere bei Nutzfahrzeugen – fließt in industrielle Wasserstoffanwendungen ein.

Gesundheitswesen & MedTech: Vertrauen skalieren

Medizintechnikhersteller stehen unter Druck, Innovationen schneller auf den Markt zu bringen und gleichzeitig höchste Sicherheit zu gewährleisten. Ingenieure aus der Automobilindustrie – vertraut mit ISO 26262 – bringen eine Genauigkeit mit, die für die in der Medizintechnik geforderte ISO 13485 erforderlich ist.

  • Connected Health: Telematik-Architekturen aus dem Fahrzeugbereich eignen sich für Fernüberwachung medizinischer Geräte.
  • Mechatronik-Integration: Die Expertise in Sensorik und Aktorik aus der Automobilindustrie unterstützt die Miniaturisierung chirurgischer Robotik und Medikamentenabgabesysteme.

Vom Pilotprojekt zur Plattform: Was andere Branchen lernen können

Viele Industrien verharren in „Innovations-Theater“ – kleine Pilotprojekte ohne Skalierungsperspektive. Die Automobilbranche hingegen hat sich zum Meister der Industrialisierung unter Druck entwickelt.

  • Plattformdenken: Produktfamilien auf gemeinsamen Plattformen ermöglichen Kosteneffizienz und schnelle Markteinführung. Dieses Prinzip lässt sich auf Drohnen oder bildgebende Diagnostik übertragen.
  • End-to-End-Validierung: Globale Synchronisation von Hardware, Software und Tests ist Standard in der Automobilentwicklung – ein wertvolles Modell für regulierte Branchen mit wachsendem Softwareanteil.

Know-how der Autoindustrie lässt sich nicht kopieren – aber übersetzen

Die Übertragung von Fähigkeiten und Technologien aus der Automobilindustrie auf andere Sektoren ist kein Selbstläufer. Capgemini arbeitet branchenübergreifend – von Halbleitern über Energie bis zu Healthcare – und weiß daher:

Technologien und Modelle lassen sich nicht einfach für andere Branchen kopieren. Aber sie lassen sich übersetzen.

Modularität funktioniert in der Luftfahrt nur begrenzt wegen regulatorischer Hürden, in der Medizintechnik wegen klinischer Validierung und in der Verteidigung wegen missionsspezifischer Anforderungen. Doch die Prinzipien – Wiederverwendung, Standardisierung, Skalierbarkeit – bleiben wertvoll.

Es braucht einen „Branchen-Übersetzer“

Agile Entwicklung funktioniert hervorragend in der Fahrzeugsoftware – kann aber in industriellen Steuerungssystemen oder kritischen Energieplattformen Risiken bergen. Anpassung statt blinder Übertragung ist entscheidend. Capgemini versteht sich als kultureller und technologischer Übersetzer. Wir unterstützen dabei, die Stärken der Automobilindustrie gezielt und kontextsensibel in andere Branchen zu übertragen.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht in vorgefertigten Blaupausen, sondern in der gemeinsamen Entwicklung von Strategien, die branchenspezifische Besonderheiten berücksichtigen und mit bewährtem Automobil-Know-how ergänzen.