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Kollaboratives Risikomanagement im Einkauf: Der Schlüssel zur Überlebensfähigkeit in einer turbulenten Welt

Kai Hasenklever
28.05.2025
capgemini-invent

Stellen Sie sich vor, Sie stehen am Steuer eines Schiffes inmitten eines tosenden Sturms. Die Wellen der globalen Halbleiterknappheit peitschen gegen den Bug, während der Orkan der COVID-19-Pandemie Ihre Segel zerreißt. Klingt beängstigend? Genauso fühlten sich viele Unternehmen in den letzten Jahren, als ihre Risikomanagement-Systeme den Disruptionen in den globalen Lieferketten nicht gewachsen waren.

Doch aus jeder Krise ergibt sich eine Chance. Unsere Kunden haben erkannt, dass es Zeit für einen Paradigmenwechsel ist. Sie investieren massiv in ein zukunftsfähiges Risikomanagement im Einkauf mit Fokus auf die Lieferkette – nicht nur um zu überleben, sondern um weiter aktiv das Ruder in der Hand zu halten.

Aber Achtung: Unsere Erfahrung zeigt, dass der Schlüssel zum Erfolg in der engen Zusammenarbeit mit Lieferanten liegt. In diesem Blogpost enthüllen wir anhand eines greifbaren Praxisbeispiels, wie die Vision eines kollaborativen Risikomanagements Realität werden kann und welche überraschenden Erkenntnisse wir dabei gewonnen haben.

Um das kollaborative Risikomanagement im Einkauf anhand eines konkreten Use Cases aus der Automobilindustrie zu veranschaulichen, nehmen wir als Beispiel ein Projekt bei einem globalen Automobilhersteller, den wir aufgrund von Geheimhaltungsverpflichtungen in diesem Artikel “AutoTech” nennen.

Ausgangssituation: Traditionelles Risikomanagement bei AutoTech

AutoTech, ein führender Automobilhersteller, steht vor der Herausforderung, seine globale Lieferkette für kritische Komponenten wie Halbleiter und Batteriezellen zu sichern. In der Vergangenheit arbeitete die Einkaufsabteilung von AutoTech weitestgehend isoliert. Dadurch ergaben sich die folgenden Schwachstellen:

  1. Erhöhtes Gesamtrisiko durch Informationssilos: Mangelnde Kommunikation zwischen Einkauf und anderen Abteilungen wie Produktion, Entwicklung und Finanzen führte zu einer fragmentierten Risikowahrnehmung und verhinderte eine ganzheitliche Risikobewertung.
  2. Eskalation von Risiken durch reaktives Management: Fehlende proaktive Risikoidentifikation resultierte in unvorbereiteten Krisenreaktionen und kostenintensiven Produktionsunterbrechungen.
  3. Intransparenz in der Lieferantenrisikobewertung: Oberflächliche Interaktion mit Lieferanten, Fokussierung auf Preise und Termine, ließ tieferliegende Risiken wie finanzielle Instabilität oder Kapazitätsengpässe unentdeckt.
  4. Erhöhte Fehleranfälligkeit im Risikoprozess: Manuelle Risikobewertungen führten zu zeitverzögerten und potenziell ungenauen Risikoeinschätzungen, was die Effektivität von Präventivmaßnahmen beeinträchtigte.
  5. Zeitverzögerte Erkennung von Risiken in der Lieferkette: Mangel an Echtzeit-Transparenz über die gesamte Supply Chain erschwerte die frühzeitige Erkennung von Risikoclustern und Domino-Effekten, insbesondere jenseits der Tier-1-Lieferanten.

Zielbild: Kollaboratives Risikomanagement im Einkauf bei AutoTech

Gemeinsam mit Autotech haben wir basierend auf der Ausgangssituation ein ganzheitliches, funktionsübergreifendes Zielbild erarbeitet und implementiert, welches in zwei wesentlichen Prozessschritten im Einkauf wirkt: bei der Lieferantenauswahl und dem laufenden Lieferantenmonitoring ab Beauftragung.

Das Zielbild wird durch folgende Punkte charakterisiert:

  1. Cross-funktionale Risiko-Teams: Etablierung eines permanenten Risiko-Teams mit Vertretern aus Einkauf, Produktion, Entwicklung, Finanzen und IT. Dieses Team ist im regelmäßigen Austausch, um potenzielle Risiken zu identifizieren und Mitigations-Strategien zu entwickeln.
  2. Kollaborative Risiko-Plattform: Implementierung einer digitalen Plattform, die Echtzeit-Daten aus der gesamten Lieferkette sammelt und analysiert. Diese Plattform ist mit den Systemen der wichtigsten Lieferanten verbunden und ermöglicht eine transparente Sicht auf die gesamte Lieferkette.
  3. Tiefe Lieferantenintegration: Enge Zusammenarbeit mit Schlüssellieferanten. Gemeinsam werden Risikoszenarien entwickelt und Notfallpläne erstellt. Lieferanten teilen proaktiv Informationen über potenzielle Engpässe oder Probleme.
  4. KI-gestützte Risikoanalyse: Kontinuierliche Datenanalyse mittels künstlicher Intelligenz aus verschiedenen Quellen (Lieferantendaten, Markttrends, geopolitische Ereignisse) und identifiziert frühzeitig potenzielle Risiken.
  5. Branchenübergreifende Zusammenarbeit: Beteiligung an einem branchenweiten Netzwerk zum Informationsaustausch über globale Lieferkettenrisiken, einschließlich Wettbewerbern und Zulieferern.

Im Frühjahr 2024 erkannte das KI-gestützte Risikomanagement System von AutoTech frühzeitig Anzeichen für eine drohende Knappheit bei Seltenen Erden wie z. B. Neodym, die als Schlüsselrohstoffe für die Produktion von Permanentmagneten in Elektromotoren dienen. Die automatisierte Risikoanalyse identifizierte alarmierende Trends in externen Datenquellen, wie steigende Preise für Seltene Erden an globalen Märkten, zunehmende Exportbeschränkungen in wichtigen Förderländern und negative Sentiment-Analysen in Branchenforen und sozialen Medien.

Als Reaktion auf diese Erkenntnisse wurde umgehend das funktionsübergreifende Risiko-Team aktiviert, welches die Situation unter Einbeziehung interner Planungs-, Produktions- und Bestandsdaten analysierte. Über die kollaborative Risiko-Plattform wurden Schlüssellieferanten eingebunden, um deren Lagerbestände und Produktionskapazitäten zu prüfen. Die Einkaufsabteilung initiierte proaktiv Verhandlungen mit alternativen Lieferanten und sicherte langfristige Lieferverträge für Permanentmagnete ab. Gleichzeitig wurde die Entwicklungsabteilung beauftragt, Möglichkeiten zur Reduzierung des Bedarfs an Seltenen Erden durch alternative Motorendesigns zu prüfen. Um diese Maßnahmen zu unterstützen, stellte das Finanzteam zusätzliche Mittel für strategische Vorratskäufe bereit.

Durch das proaktive Handeln konnte AutoTech seine Versorgung mit Permanentmagneten sichern, während Wettbewerber mit Produktionsausfällen zu kämpfen hatten. Die Mehrkosten für die Vorratshaltung wurden durch vermiedene Produktionsausfälle und Marktanteilsgewinne mehr als kompensiert.

Fazit: Kollaborativ zu höheren Risiko-Resilienz

Die Zukunft des Risikomanagements im Einkauf liegt in der Kraft der Kollaboration. Unternehmen, die es schaffen, interne Silos aufzubrechen, enge Partnerschaften mit Lieferanten zu schmieden und branchenübergreifend zusammenzuarbeiten, sind nicht nur widerstandsfähiger gegen Störungen. Sie sind auch agiler, innovativer und letztendlich wettbewerbsfähiger in einer zunehmend vernetzten und unsicheren Geschäftswelt. Der Weg zu einem umfänglichen kollaborativen Risikomanagement erfordert ein Umdenken, kulturelle Veränderungen und neue Fähigkeiten in Prozessen, Systemen, Daten und Organisation. Doch der Mehrwert ist signifikant: erhöhte Liefersicherheit, gesteigerte Effizienz in der Risikoerkennung und -Mitigation.

In einer Welt, in der Risiken zunehmend komplex und global sind, ist klar: Nur gemeinsam mit der Lieferantenbasis kann den Herausforderungen der Zukunft erfolgreich begegnet werden. Lassen Sie uns die Kraft der Kollaboration nutzen, um eine sichere und erfolgreiche Zukunft zu gestalten.

Nehmen Sie gerne mit unseren Experten den Kontakt auf.

Unsere Experten

Kai Hasenklever

Vice President | Head of Industrial Procurement Germany, Capgemini Invent
Kai Hasenklever ist Experte für Procurement Strategy, Procurement Operating Model Design, Procurement Outsourcing, Source-to-Pay Prozessoptimierung, Cloud Procurement, Digital Transformation, Supplier Management und Working Capital Management.

Dominik Knotte

Senior Manager | Intelligent Industry Germany, Capgemini Invent
Dominik Knotte ist Experte für die Themen Procurement Strategy, Procurement Operating Model Design, Source-to-Pay Prozessoptimierung, Supplier Management sowie Sustainable Procurement. Er hat sowohl in Deutschland als auch in den USA Projekterfahrung in verschiedenen Branchen wie z. B. Manufacturing, Automotive, Financial Services, Telekommunikation oder dem Public Sector.

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