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Intelligenter Einkaufen: Mit KI-Agenten in die Zukunft  

Anna Schiller
23.10.2025
capgemini-invent

KI-Agenten übernehmen Aufgaben, analysieren Daten und unterstützen Verhandlungen – als vernetztes System steigern sie so Geschwindigkeit, Transparenz und Einsparungen im Einkauf.

Den Einkauf neu denken und gestalten mit KI-Agenten

Der Einkauf befindet sich an einem strategischen Wendepunkt. Die Anforderungen an Geschwindigkeit, Transparenz und Nachhaltigkeit steigen kontinuierlich – gleichzeitig wachsen die Datenmengen, wodurch Entscheidungen zunehmend komplexer werden. In einem fragmentierten und dynamischen Markt, der schnelle Reaktionen und hohe Transparenz verlangt, setzen Unternehmen verstärkt auf Künstliche Intelligenz (KI), um Einkaufsprozesse neu zu gestalten.

Im Zentrum dieser Entwicklung stehen KI-Agenten – sie analysieren Informationen, bereiten Entscheidungen vor und können eigenständig handeln. Außerdem interagieren sie mit Menschen, Systemen und Daten, übernehmen Aufgaben, priorisieren Informationen und kommunizieren in natürlicher Sprache. Richtig eingesetzt, verwandeln sie den Einkauf in einen datengetriebenen, strategischen Werttreiber.

Doch der Weg dorthin ist anspruchsvoll. Viele Projekte scheitern bereits im Proof-of-Concept (PoC). Die Ursache liegt selten in der Technologie, sondern fast immer im Umfeld: fehlende Datenintegration, unklare Verantwortlichkeiten, Silodenken oder zu starre Governance.

Dieser Blogartikel zeigt anhand eines realisierten Projekts, wie KI-Agenten im Einkauf echten Mehrwert schaffen – und was Organisationen beachten müssen, um von ersten PoC zur skalierbaren Lösung zu gelangen.  

Praxisbeispiel: Ein KI-Agentennetzwerk im strategischen Einkauf

Capgemini unterstützte einen global-agierenden Kunden beim Aufbau eines agentenbasierten Netzwerks im strategischen Einkauf. Ziel war es Routineaufgaben zu automatisieren, Entscheidungsqualität zu erhöhen und die Geschwindigkeit in Einkaufsprozessen signifikant zu steigern.

Um die Leistungsfähigkeit modernster KI-Technologien mit hochspezialisiertem Domänenwissen zu kombinieren, setzte Capgemini auf einen mehrschichtigen Ansatz: KI-basierte Agenten und ihre Werkzeuge werden mit Hilfe von Microsoft Semantic Kernel entwickelt und für die Integration in größere Agentennetzwerke vorbereitet.

Damit diese Agenten die komplexen Zusammenhänge und Begriffe aus dem Einkaufsbereich des Kunden korrekt verstehen und anwenden können, wurde eine Ontologie eingesetzt – ein strukturierter Wissensrahmen, der auf internationalen Standards (RDF/OWL) basiert. Diese Ontologie bildet das Rückgrat eines Wissensgraphen, der nicht nur die relevanten Daten bereithält, sondern auch deren Bedeutung und Beziehungen zueinander kennt.

Dieser Aufbau ermöglicht es den Agenten, Fachsprache und Kontext korrekt zu verstehen und eigenständig zu verknüpfen. Das Ergebnis war ein intelligentes Netzwerk spezialisierter KI-Agenten, die nicht isoliert arbeiten, sondern wie ein eingespieltes Team miteinander interagieren. Jeder Agent übernimmt eine klar definierte Rolle im strategischen Einkaufsprozess – und alle zusammen bilden eine durchgängige, sich selbst verstärkende Einheit.

  • Faktenprüf-Agent: Er ist der erste im Einsatz, sobald neue Angebote oder RFx-Dokumente eintreffen. Er überprüft Inhalte auf Vollständigkeit, Plausibilität und Zuordnung zu bestehenden Anfragen. Fehlen Preisangaben, Produktdetails oder rechtlich relevante Dokumente, werden diese sofort erkannt. Der Agent erstellt eine kompakte Übersicht, priorisiert Lücken nach Kritikalität und schlägt konkrete Maßnahmen vor.
  • Rechts-Agent: Parallel dazu arbeitet der Rechts-Agent. Er analysiert AGBs, Vertragsanhänge und Einkaufsbedingungen und gleicht sie mit den Richtlinien des Unternehmens ab. Dabei identifiziert er Abweichungen, Haftungsrisiken und Unklarheiten. Das Ergebnis ist ein Ampel-Report, der auf einen Blick die Kritikalität aufzeigt.
  • Kommunikations-Agent: Die Ergebnisse aller Agenten werden über den Kommunikations-Agenten zusammengefasst. Basierend auf den Ergebnissen, erstellt dieser E-Mail-Entwürfe und fasst die nächsten Schritte an Lieferanten zusammen.
  • Daten- und Benchmark-Agent: Sobald Angebote vorliegen, aggregiert dieser Agent vergangene Referenz-Angebote, Vertragsdaten, Benchmarks, und Preisindizes. Er erkennt Muster und Abweichungen, etwa ungewöhnliche Preisentwicklungen zwischen Lieferanten und Angeboten. Daraus erstellt er einen systematischen Vergleich, auf dem Verhandlungen vorbereitet werden.
  • Verhandlungs-Agent: Im letzten Schritt übernimmt der Verhandlungs-Agent. Er nutzt die Ergebnisse des Daten- und Benchmarkagenten und schlägt konkrete Verhandlungsstrategien vor, berechnet Zielpreise, Rabattbänder oder schlägt alternative Konditionen vor. Gleichzeitig kann er Szenarien simulieren („Was passiert, wenn wir Lieferant X um 5 % senken?“) und so Entscheidungsvorlagen für den strategischen Einkäufer schaffen. Die Ergebnisse werden dann vom bereits genannten Kommunikations-Agenten zusammengefasst. Damit wurde der Grundstein für ein intelligentes Netzwerk im Einkauf erfolgreich gelegt.

Einblick und Mehrwert durch die Implementierung der KI-Agenten

Bereits nach wenigen Wochen im Einsatz erzielte der Kunde Zeitgewinne von bis zu 50 % bei manuellen Tätigkeiten. Die gewonnene Kapazität floss direkt in strategische Initiativen mit ausgewählten Lieferanten ein. In bestimmten Warengruppen wurden zudem Kosteneinsparungen zwischen 5 % und 13 % realisiert – Tendenz steigend.

Besonders interessant ist der Effekt des KI-Agenten-Netzwerks auf den Tail Spend, also Ausgaben, die wenig bis kaum verhandelt wurden. Hier konnten durch die systematische Analyse und Vorschlagslogik der Agenten besonders hohe Einsparpotenziale erzielt werden. Zudem konnten neue Lieferanten identifiziert werden, die zuvor nicht in Betracht gezogen wurden, um so den Wettbewerb und damit den Preisnachlass zu begünstigen.

Grenzen und aktuelle Herausforderungen bei KI-Agenten  

So viel Potenzial KI-Agenten im Einkauf bieten, ihre Einführung ist kein Selbstläufer. Die größten Hürden liegen nicht in der Technologie, sondern im Zusammenspiel aus Daten, Organisation und Erwartungshaltung.

Unternehmenskontext verstehen

  • Grundsätzlich muss überlegt werden, wie man den KI-Agenten effektiv die fachliche Domäne des Unternehmens zugänglich macht. Damit ein Agent Mehrwert stiften kann, muss dieser im spezifischen  Unternehmenskontext funktionieren. Dieser Kontext muss Bestandteil des KI-Modells sein.

Governance als strategische Notwendigkeit

  • Eine der größten Herausforderungen beim Aufbau von KI-Agenten ist die richtige Balance bei der Steuerung. Gibt es zu wenig Governance, entstehen schnell viele unkoordinierte PoCs, die nicht zusammenpassen und kaum skalierbar sind. Wird hingegen zu stark reguliert, fehlt oft die nötige Flexibilität, um neue Ideen umzusetzen und Innovation zu fördern.
    Gerade im Einkauf ist es wichtig, klare Rahmenbedingungen zu schaffen, ohne die Entwicklung zu blockieren.

Akzeptanz und Zusammenarbeit

  • KI-Agenten liefern nicht immer exakt dieselben Ergebnisse, selbst wenn man ihnen die gleiche Aufgabe stellt. Sie arbeiten nicht nach festen Regeln wie klassische Software, sondern reagieren flexibel auf den jeweiligen Kontext und die verfügbaren Informationen. Das kann sehr hilfreich sein, aber auch überraschen. Damit die Ergebnisse tatsächlich nützlich sind, sollten Einkäufer frühzeitig in Tests und Feedbackrunden eingebunden werden. So lernen sie die Agenten besser kennen, verstehen deren Arbeitsweise und können aktiv mitgestalten. Das schafft Vertrauen und sorgt dafür, dass die KI im Alltag wirklich unterstützt – und nicht als undurchsichtige Black Box wahrgenommen wird.

Kein Standard-Out-Of-The-Box-Produkt

  • KI-Agenten sind keine fertigen Standardlösungen, die man einfach einkauft und sofort einsetzen kann. Hinter jedem Agentennetzwerk steckt Individualentwicklung. Wer hier mit „Out-of-the-Box“-Erwartungen startet, wird enttäuscht. KI-Agenten müssen auf Strukturen, Daten und Ziele eines Unternehmens zugeschnitten werden. Das braucht Zeit, Fachwissen und klare Prioritäten – zahlt sich aber langfristig in Stabilität und Skalierbarkeit aus.

Halluzinationen kontrollieren

  • Die Vermeidung von Halluzinationen in den Antworten der Agenten ist derzeit nicht vollständig möglich. Daher müssen im Projekt technische Maßnahmen ergriffen werden, wie zum Beispiel direkt im Code.

Datenintegration als kritischer Erfolgsfaktor

  • Die Verfügbarkeit von Daten ist ein entscheidender Erfolgsfaktor – auch für den Einsatz von KI-Agenten im Einkauf. Wenn die Agenten nicht direkt mit den bestehenden IT-Systemen verbunden sind, bleiben sie oft in der PoC-Phase hängen. Müssen Daten manuell gepflegt oder eingegeben werden, wird es schnell aufwendig und unpraktisch. Das führt dazu, dass die Lösung im Alltag kaum genutzt wird. Damit ein KI-Agent wirklich produktiv arbeiten kann, braucht er Zugriff auf aktuelle und verlässliche Daten. Deshalb ist es wichtig, den Aufwand für die technische Anbindung an bestehende Systeme, wie das ERP- oder die Einkaufslösung, frühzeitig mitzuplanen.

IT-Architektur als Enabler

Die Unternehmens-IT muss so aufgestellt sein, dass sie einerseits kohärente Entwicklungsmöglichkeiten für agentenbasierte KI bietet – im Einklang mit der bestehenden Enterprise-IT, die weiterhin relevant bleibt – und andererseits die Flexibilität besitzt, neue Technologien schnell zu adaptieren. Diese Balance ist anspruchsvoll, aber entscheidend. Unternehmen, die hier investieren, schaffen die Grundlage für eine skalierbare, sichere und zukunftsfähige KI-Agenten-Landschaft. 

Implikation auf das Operating Model

Durch den Einsatz von KI-Agenten verschieben sich Rollen: Operative Tätigkeiten treten in den Hintergrund, während strategische Aufgaben und die Steuerung von KI-Systemen an Bedeutung gewinnen. Der Einkauf der Zukunft braucht keine reinen Prozessmanager mehr, sondern Datenversteher, Szenariodenker und KI-Steuerer. Prompting-Fähigkeiten, Datenkompetenz und technologische Neugier werden zu zentralen Erfolgsfaktoren. All das verlangt ein neu gedachtes und restrukturiertes Operating Model im Einkauf.

Schlussgedanke  

Die Arbeitswelt und damit auch der Einkauf stehen vor einer seiner vielleicht spannendsten Phasen seit Jahrzehnten durch die Einführung von KI-Agenten. KI-Agenten können die Geschwindigkeit, Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit fördern.  Jetzt ist die Zeit, strategische Entscheidungen für die kommenden Jahre im Einkauf zu treffen, um einen klaren Vorsprung zu schaffen.

Zu diesem Blogartikel haben maßgeblich die Co-Autoren Paul Fischer und Katja Eisch beigetragen!

Unsere Expertin

Anna Schiller

Anna Schiller

Senior Manager | Procurement Transformation Germany, Capgemini Invent
Anna Schiller ist Senior Managerin im Bereich Procurement Transformation und treibt die digitale Neuausrichtung des Einkaufs maßgeblich voran. Sie gilt als Expertin in der Restrukturierung von Operating Models, der Implementierung von KI-Lösungen sowie dem Aufbau zukunftsfähiger Beschaffungsstrategien. Anna Schiller gestaltet Einkaufsorganisationen nachhaltig und effizient. Ihr Fokus liegt dabei stets auf der erfolgreichen Umsetzung, Skalierbarkeit und dem langfristigen Mehrwert für Unternehmen.

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