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Der EU Data Act: Nicht nur Obligation sondern Chance für eine datengetriebene Zukunft

Lukas Schröder
24.04.2024
capgemini-invent

„Der EU Data Act holt Europa aus dem Daten-Winterschlaf für einen “Digital-sovereignty-Spring” den unsere Unternehmen dringend brauchen, um international relevant zu bleiben.”

Esther Huyer (Senior Director), Capgemini Invent

Der europäische Gesetzgeber[1] unternimmt mit der EU Datenverordnung (nachfolgend: EU Data Act) einen entscheidenden Schritt in Richtung Datenhoheit und eröffnet damit neue Perspektiven für den Umgang mit Daten in der EU. Dieses Gesetz, welches im Januar 2024 in Kraft getreten ist und ab September 2025 zur Anwendung kommen wird, zielt darauf ab, die Kontrolle über Daten zu demokratisieren und gleichzeitig die europäische Datenwirtschaft zu stärken. Durch die Förderung eines fairen, transparenten und wettbewerbsfähigen digitalen Marktes adressiert der Data Act die Notwendigkeit einer verstärkten Datenmobilität und -nutzung.

Durch Regelungen des EU Data Acts werden Unternehmen verpflichtet bisher exklusive Daten zu teilen

Der EU Data Act hat einen weitreichenden Anwendungsbereich. Das Gesetz gilt sektorübergreifend, umfasst personen- sowie nicht-personenbezogene Daten, und kann auch Unternehmen betreffen, die nicht in der EU ansässig sind. Damit kommt auf zahlreiche Akteure der Datenökonomie eine Reihe neuer Verpflichtungen, es eröffnen sich aber auch ganz neue Möglichkeiten.

Zu den Obligationen des EU Data Acts gehören beispielsweise Vorgaben an Interoperabilität, Erleichterung des Wechsels zwischen Cloud-Anbietern sowie Schutzmaßnahmen für nicht-personenbezogenen Daten im internationalen Umfeld. Die größte Beachtung finden aktuell die Regelungen zur Zugänglichmachung von Daten (sog. Data accesibility by design) sowie zur Datenbereitstellung auf Anfrage. Diese Vorschriften zielen darauf ab, insbesondere den Austausch von Daten, die bei der Nutzung vernetzter Produkte generiert werden, allen Marktteilnehmer:innen zu erleichtern und damit die Wertschöpfung aus Daten gerechter zu verteilen. Diese neuen Rechte der Nutzer sollen gewährleisten, dass nicht mehr ausschließlich große Unternehmen mit teilweiser Monopolstellung auf die Daten zugreifen und sie nutzen können.

  • Data accessibility by design: Zugänglichmachung von Daten bedeutet, dass Produkte derart ausgestaltet und verbundene Dienstleistungen so konzipiert sein müssen, dass die jeweiligen generierten Daten für den Nutzer direkt zugänglich sind. Diese Verpflichtung müssen Hersteller von Produkten bereits in der Entwicklungsphase berücksichtigen.
  • Datenbereitstellung:
    • Bietet das Produkt bzw. die verbundene Dienstleistung keine direkte Zugänglichkeit zu Daten, steht dem Nutzer ein Recht auf Bereitstellung der jeweiligen Daten zu. Die Vorgabe des Data Acts lautet, dass die Daten auf einfache Anfrage, unverzüglich, unentgeltlich und in einem gängigen Format, gegebenenfalls in Echtzeit vom Dateninhaber zur Verfügung zu stellen sind.
    • Der Nutzer kann die Datenbereitstellung auch für eine Drittpartei verlangen. In diesem Fall darf der Dateninhaber eine angemessene Gegenleistung verlangen.
    • Dateninhaber müssen außerdem Daten öffentlichen Einrichtungen, z. B. Behörden, im Falle einer außergewöhnlichen Notwendigkeit bereitstellen.

Der EU Data Act sollte jedoch nicht nur als Verpflichtung sondern insbesondere auch als Chance für neue Geschäftsmodelle gesehen werden

Organisationen erkennen Daten zunehmend als eines ihrer zentralen Produkte an und sehen diese nicht mehr nur als Nebenprodukt geschäftlicher Tätigkeiten. Trotzdem werden laut einer Studie der Europäischen Kommission bis zu 80 % der Industriedaten nicht genutzt. Der EU Data Act ermöglicht konkret den Zugriff auf viele dieser qualitativ hochwertigen Datenprodukte und stimuliert somit die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle und Produkte. Dies könnte bis 2028 zu einem zusätzlichen BIP-Wachstum von 270 Milliarden Euro führen.

Durch den Einsatz von Daten können Firmen ihre Produkte, Kostenstrukturen und Vermarktungstaktiken gezielter ausrichten. Zudem ermöglichen diese die Entwicklung neuartiger Services, wie KI-gestützte, vorhersagende Datenanalysen, die die Effizienz steigern und die objektive Entscheidungsfindung unterstützen. Durch die gesteigerte Datenvielfalt können fairere und intelligentere Produkte sowie Dienstleistungen entstehen.

Der EU-Datenakt eröffnet vor allem Unternehmen neue Möglichkeiten, um an Daten zu gelangen und dadurch Innovation zu fördern. Zum einen, in der Rolle als Nutzer, bspw. als Flottenbetreiber gegenüber dem Hersteller der eingesetzten, vernetzten Fahrzeuge; zum anderen in der Rolle einer Drittpartei, für welche andere Nutzer Daten von Dateninhabern anfragen können. Darüber hinaus profitieren Unternehmen auch als Dateninhaber von einer gesteigerten Nachfrage nach ihren Daten durch Drittparteien. Konkret bedeutet dies für die drei Akteurstypen folgendes:

Drittparteien:

Der innovative Ansatz des EU Data Acts wird durch die Erweiterung des Angebots bei Drittparteien wie beispielsweise Versicherungen sichtbar (siehe Abbildung 1). Durch den Zugang zu vielfältigen Datenquellen (wie beispielsweise Telemetriedaten der Fahrzeughersteller) können jetzt maßgeschneiderte Policen angeboten werden, die genau auf die Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt sind. Dies steigert nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern optimiert auch die Risikoeinschätzung für Versicherer.

Abbildung 1: Beispiel

Nutzer:

Neben Drittparteien können Unternehmen auch als Nutzer auftreten und Daten anfragen, zum Beispiel für prädiktive Wartung ihrer Maschinen in der Produktionsstätte. Dies ermöglicht ihnen, Wartungsarbeiten selbstständig ohne Abhängigkeiten vorherzusagen und durchzuführen, bevor Ausfälle auftreten, was Kosten senkt und die Betriebszeit erhöht. 

Dateninhaber:

Zusätzlich zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle für Drittparteien und Unternehmen, die als Nutzer agieren, schafft die wachsende Nachfrage nach Daten auch Potenzial für deren Monetarisierung für die Dateninhaber. Es können trotz im Data Act festgelegter Grenzen für Margen durch den zunehmenden Stellenwert von Daten erhebliche Einkommensquellen erschlossen werden.

Zudem bietet der Anreiz zur Einführung und Finanzierung neuer Datenstrategien eine wichtige interne Perspektive. Dies ermöglicht die Nutzung der Chance, interne Datenökosysteme zu strukturieren und den Datenaustausch zwischen Systemen zu optimieren, was zu nachhaltigen Effizienz und Innovationssteigerungen führen kann.

Die nächsten Monate werden essentiell sein, um die Verpflichtungen zu erfüllen und mögliche Chancen frühzeitig zu erschließen

Auch wenn die Chancen, welche sich aus dem EU Data Act ergeben, durch ihren starken transformativen Charakter, von vornherein mitberücksichtigt werden sollten, müssen die genannten Obligationen zunächst mit klarer Frist im September 2025 erfüllt werden. Hierfür sehen sich Unternehmen mit vernetzten Produkten im Anwendungsbereich des EU Data Acts mit einigen Herausforderungen konfrontiert. So bedarf es in letzter Instanz eines Portals für die Kommunikation zwischen dem datenhaltenden Unternehmen auf der einen Seite, sowie Kunden, Drittparteien und öffentlichen Stellen auf der anderen Seite. Dieses Portal ist verantwortlich für die Aufnahme und Authentifizierung von Anfragen nach EU Data Act, das Ausspielen von Daten (als Download und near-realtime Stream), die Rechnungslegung für Anfragen von Drittparteien, sowie die Weiterleitung der geprüften Anfragen an die entsprechenden internen Quellsysteme.

Insbesondere für Unternehmen mit komplexeren Datenflüssen und einer Vielzahl an datenhaltenden Systemen, beginnt die eigentliche Herausforderung aber nun erst. So muss nicht nur sichergestellt werden, dass die Quellsysteme die richtigen Daten bereitstellen (passend zur Anfrage, kein Geschäftsgeheimnis, keine abgeleiteten Daten, etc.), sondern es muss zusätzlich eine vollständige Metadatenbeschreibung mitgeliefert werden.

Da sich mit einem größeren und transparenten Datenangebot die Nachfrage nach Daten (speziell durch dritte Parteien) signifikant erhöhen wird, bedarf es zusätzlich einer Erweiterung der bestehenden Monetarisierungsstrategie, sowie einer konkreten Herstellung von Transparenz über Kosten sowie handelsübliche Preise und Margen.

Zusammengefasst betreffen die Anforderungen somit viele Bereiche des Unternehmens und erfordern eine ganzheitliche, koordinierte Vorgehensweise:

Abbildung 2: 5-Schritte Vorgehen

Der EU Data Act wird die digitale Landschaft nachhaltig verändern und zu einer immer stärkeren Vernetzung zwischen Unternehmen führen

Der EU Data Act verdeutlicht, dass so etwas wie „Dateneigentum“ nicht existiert, sondern Unternehmen vorwiegend von ihren bisher exklusiven Zugriffsmöglichkeiten profitierten. Somit werden nun bestehende Geschäftsmodelle hinterfragt sowie eine Vielzahl neuer Möglichkeiten geschaffen. Unternehmen, welche die Chancen hierin frühzeitig erkennen und erschließen, können sich einen signifikanten Wettbewerbsvorteil erarbeiten.

Es ist denkbar, dass künftige Vorgaben, den jetzt angeregten Datenaustausch, weiter standardisieren und Interoperabilität innerhalb eines Sektors forcieren, wodurch kollaborative Datenökosysteme weiter ausgebaut werden können. Teil 2 dieses Blogartikels wird einen detaillierteren Blick auf diese Vision und künftige Datenräume werfen und ist ab dem 22. Mai 2024 an dieser Stelle verlinkt.

Vielen Dank an meine Co-Autorinnen Olga Seewald und Anna Elissa Bach.


[1] Als Capgemini legen wir großen Wert auf Gendergerechtigkeit und inklusive Sprache. Im Kontext des EU Data Acts halten wir uns jedoch an die gesetzlich festgelegten Begriffe, um die spezifischen Terminologien des Gesetzes zu wahren.

Unser Experte

Lukas Schröder

Senior Manager | Enterprise Data & Analytics, Capgemini Invent Germany
Seit mehr als sechs Jahren helfe ich unseren Kunden dabei, aus Daten Mehrwerte zu generieren. Das Teilen von Daten stellt hierbei eine sehr zentrale Rolle dar: Im ersten Schritt durch das Aufbrechen bestehender Datensilos und das interne Verfügbarmachen von Daten in Form von Produkten. Darauf folgend dann durch die Integration externer Datenquellen und das Erschließen der noch ungenutzten Potentiale. Mein Beratungsfokus liegt darauf, unsere Kunden auf diese Herausforderungen vorzubereiten und sie auf ihrer Reise hin zu kollaborativen Datenräumen zu begleiten.

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