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Einführung des ISSB-Standards – für europäische Unternehmen kein Grund zur Sorge

Marco Meyer
11. Mai 2023
capgemini-invent

Neue aufsichtsrechtliche Anforderungen an die ESG-Berichterstattung, wie beispielsweise der International Sustainability Standards Board (ISSB) Standard zur Offenlegung unternehmerischer Nachhaltigkeitsaktivitäten, werden sowohl global, als auch industrieweit stets mit großer Anspannung und Unsicherheit erwartet. Eines kann jedoch schon im Vorfeld von uns vorweggenommen werden: Europäische Unternehmen sollten den Fokus ihrer Aufmerksamkeit auf die Non-Financial Reporting Directive (NFRD) und deren Nachfolger, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) legen.

Wieso können wir diese Einordnung so klar vornehmen?

Unsere Recherche legt nahe, dass europäische Unternehmen in Weitaus geringerem Maße durch die Offenlegungspflichten gemäß ISSB-Standard betroffen sein werden als durch die der CSRD. Die Anforderungen des ISSB sind bereits weitestgehend durch die Anforderungen gemäß der jüngsten Konsultation zum European Sustainability Reporting Standard (ESRS) abgedeckt, welcher die Bestimmungen und Inhalte der vieldiskutierten CSRD darstellt und durch die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) definiert wird.

Lediglich für einige wenige Industriezweige und Unternehmensfunktionen stellt das ISSB im Rahmen der sektorspezifischen Offenlegungsstandards derzeit anspruchsvollere Anforderungen an Unternehmen. Seitens der EFRAG wurden bislang noch keine sektorspezifischen Offenlegungsstandards publiziert. Der Beginn zur Veröffentlichung von sektorspezifischen Berichtspflichten ist allerdings noch für das erste Halbjahr in 2023 geplant und sieht hierbei einen sequentiellen Ansatz in drei Phasen vor.

Aus globaler Sicht ist der ISSB-Standard von großer Bedeutung

Das ISSB, dessen Gründung auf der COP26-Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 bekannt gegeben wurde, veröffentlichte nur ein Jahr später im November 2022 bereits den ersten Entwurf eines ESG-Unternehmensoffenlegungsstandards. Seitdem haben nicht nur Länder wie beispielsweise das Vereinigte Königreich erklärt, dass der ISSB-Standard als Grundlage und Ausgangsbasis für die eigene Definition eines ESG-Offenlegungsstandard verwendet werden soll (1), sondern auch global agierende gemeinnützige Organisationen wie das Carbon Disclosure Project (CDP) (2) haben angekündigt, den ISSB Standard in die eigene Plattform zu integrieren.

Mehr als 18.700 Unternehmen weltweit (3.1) haben sich auf freiwilliger Basis dazu verpflichtet, den Anforderungen des Carbon Disclosure Projects nachzukommen. Das bedeutet, dass per 2024 über die Hälfte der globalen Unternehmensmarktkapitalisierung gemäß der Transparenzpflichten des ISSB berichten wird (3.2). Eine bahnbrechende Entwicklung, da die Ausweitung der Transparenzerwartung über unternehmerische ESG Performance als Initiator zur Stärkung unternehmerischer Nachhaltigkeitsbemühungen fungieren wird. Dass umfassende Offenlegung von ESG Daten für Unternehmen in naher Zukunft zum Standard wird, stellt folglich einen elementaren Schritt zur Erreichung globaler Klimaziele dar.

Bei näherer Betrachtung weist der ISSB-Standard Schwächen auf

Wir haben fünf Schlüsselelemente definiert, um den ISSB-Standard mit den ESRS umfassend vergleichen zu können: Betroffene Unternehmen, Interessensgruppen, Umfang der Offenlegung, Detaillierungsgrad der Offenlegung und Bewertung der Wesentlichkeit.

1. Betroffene Unternehmen

Den Transparenzpflichten des ISSB-Standards werden durch die Aufnahme von Carbon Disclosure Project mehr als 18.000 Unternehmen und Organisationen nachkommen müssen. Außerdem soll der ISSB-Standard auch seitens IFRS (International Financial Reporting Standard) aufgenommen werden. Auch wenn die Berichterstattung gemäß IFRS für viele europäische Unternehmen nicht zwingend notwendig ist, erfüllen dennoch viele Unternehmen diese weit verbreiteten Anforderungen zur Erhöhung von Transparenz, Ermöglichung von Vergleichbarkeit sowie letztlich zur Steigerung des Unternehmenswertes.

Konträr zum ISSB Standard sind sowohl NFRD, als auch CSRD verbindliche EU-Berichtsstandards. Die derzeit noch anzuwendende NFRD gilt für etwa 11.700 Unternehmen. Mit in Kraft treten der CSRD in 2024 soll der Kreis betroffener Unternehmen allerdings schrittweise erweitert werden. Es ist vorgesehen, dass bis 2028 rd. 50.000 Unternehmen und Organisationen dazu verpflichtet werden, die Vorgaben der Direktive zu erfüllen.

In den Abbildungen 1 und 2 wird noch einmal zusammenfassend dargestellt, welche Unternehmen von der NFRD und der CSRD ab welchem Zeitpunkt betroffen sind.

Abbildung 1: Unternehmensumfang der NFRD
Abbildung 2: Unternehmensbereich der CSRD

2. Interessensgruppen

ESG Berichterstattung gemäß ISSB-Standard erfüllt insbesondere den Informationsbedarf von Investoren und Kreditgebern und kann daher als shareholder-orientierter Offenlegungsstandard verstanden werden. Die Anforderungen des ISSB zielen weitgehend auf die Bewertung von ESG Risiken und deren potentielle Auswirkungen auf die finanzielle Situation eines Unternehmens ab.

Der ESRS hingegen richten sich an ein wesentlich breiteres Spektrum von Interessensgruppen. Neben Investoren und Gläubigern werden auch Mitarbeiter eines Unternehmens, Lieferanten, Umweltschutzorganisationen sowie die Gesellschaft als Ganzes adressiert, da Unternehmen ebenfalls den Einfluss eigener wirtschaftlicher Aktivitäten auf Nachhaltigkeitsrisiken bewerten und darstellen müssen.

3. Umfang der Offenlegung

Das ISSB fokussiert sich in den beiden IFRS-Standards S1 “Allgemeine Anforderungen an die Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Finanzinformationen” und S2 “Klimabezogene Angaben” insbesondere auf die Offenlegung von Informationen aus dem Bereich Environment. Anforderungen zugehörig der Themenbereiche Social und Governance sind nicht umfassend formuliert.

Im Gegensatz dazu werden alle ESG-Bereiche ausführlich durch den ESRS behandelt (4). Die umfassenden Anforderungen sind in zwei allgemeine Standards, fünf umweltbezogene Standards, vier sozialbezogene Standards und einen Governance-spezifischen Standard gegliedert. Darüber hinaus beinhaltet der ESRS eine Liste an Datenpunkten, deren Veröffentlichung von allen Unternehmen im Rahmen der Berichterstattung erwartet wird. Dabei ist unerheblich, ob die Unternehmen die jeweiligen Informationen und Risiken als wesentlich oder nicht wesentlich einstuft.

Im ISSB-Standard liegt die Definition der wesentlichen Themen und die Auswahl der zu veröffentlichenden Informationen jedoch in der alleinigen Verantwortung der einzelnen Unternehmen.

4. Detaillierungsgrad der Offenlegung

Wie sich aus der differenzierteren Struktur des ESRS erahnen lässt, geht dieser im Vergleich zum ISSB-Standard mit einem höheren Grad an Offenlegungsdetails einher. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass die Themenbereiche Social und Governance im ISSB-Standard nur geringfügig angesprochen werden, während der ESRS diese umfassend behandeln.

Dennoch hat bisher hat nur das ISSB dezidierte sektorspezifische Anforderungen festgelegt. Seitens EFRAG ist geplant, den sog. ESRS 2, welche ebenfalls sektorspezifische Anforderungen beinhalten werden, beginnend ab Nov/2023 zu veröffentlichen. Insgesamt soll der ESRS 2 nach vollständiger Veröffentlichung, welche in drei Phasen stattfinden und drei Jahre dauern wird, 41 sektorspezifische Standards enthalten.

Man kann zwar davon ausgehen, dass die Offenlegungsanforderungen im Grundsatz ähnlich denen des ISSB-Standard sein werden, aber so bieten dennoch gerade die sektorspezifischen Anforderungen das Potential, Mehraufwand in der ESG Berichterstattung für Unternehmen zu erzeugen, sofern hier deutliche Unterschiede zwischen den Standards bestehen.

5. Bewertung der Wesentlichkeit

Der Begriff „Double Materiality“ wurde erstmals 2019 von der Europäischen Kommission definiert (5). Die doppelte Wesentlichkeit setzt sich dabei aus der Financial Materiality, sowie der Impact Materiality zusammen und ist in Bezug auf die gesamte Wertschöpfung eines Unternehmens anzuwenden.

Financial Materiality betrachtet die Perspektive „Von außen nach innen“ und analysiert, wie sich Umweltbedingungen kurz-, mittel- und langfristig auf die finanzielle Situation eines Unternehmens auswirken können. Impact Materiality hingegen bezieht sich auf die Perspektive „Von innen nach außen“ und untersucht, wie und in welchem Umfang die eigenen Unternehmensaktivitäten kurz-, mittel- und langfristig positive oder negative Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft haben können.

Der ESRS und der ISSB-Standard enthalten grundsätzlich ein analoges Verständnis hinsichtlich Financial Materiality, aber die Frage bezüglich der Auswirkungen des eigenen unternehmerischen Handelns im Sinne der Impact Materiality wird nur durch den ESRS gestellt. Durch diesen Blickwinkel ermöglicht der ESRS eine ganzheitlichere Betrachtungsweise und liefert eine Informations- und Diskussionsgrundlage zu ESG-Themen, die eine wesentlich größere Anzahl von Interessengruppen betrifft, als würde nur die Financial Materiality betrachtet werden.

Abbildung 3: Konzept der Double Materiality

Trotz der angestrebten Harmonisierung der Standards sollten sich die Europäischen Unternehmen auf die von der EFRAG entwickelten Anforderungen konzentrieren

Sowohl das ISSB, als auch die EFRAG betonen, dass sie sehr daran interessiert sind, eine breite Interoperabilität ihrer Standards zu ermöglichen. Dennoch unterscheiden sich die Veröffentlichungsanforderungen im Detail, so dass keine ausschließliche Konzentration auf einen Standard die Einhaltung des anderen gewährleistet.

Auf der Grundlage unserer Analyse kann jedoch die klare Empfehlung ausgesprochen werden, dass europäische Unternehmen sich auf die Anforderungen gemäß NFRD sowie insbesondere dessen Nachfolger, der CSRD fokussieren sollten. Die Berichterstattung im Sinne der CSRD muss oftmals nur geringfügig erweitert werden, damit Unternehmen ebenfalls dem ISSB-Standard gerecht werden.

Da im Rahmen der CSRD Offenlegungspflichten bis zu 1000 Datenpunkte bewertet und bis zu 300 Angaben veröffentlicht werden müssen, steht europäischen Unternehmen eine beträchtliche Menge an Arbeit bevor (6). Die Erhebung, Strukturierung und Auswertung der Daten wird eine Herausforderung sein – aber gleichzeitig bietet die Erschließung des ESG-Datenuniversums großartige Chancen!

Autoren: Marco Meyer, Tobias Wagenknecht, Hendrik Frisch und Manuel Carrier

Autor

Marco Meyer

Director | Head of Sustainability @Banking, Capgemini Invent Germany
Marco Meyer ist ein erfahrener Director mit mehr als 7 Jahren Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und hat verschiedene (globale) Projekte in den Bereichen Risk, Regulatory und Data geleitet. Er leitet das Thema Nachhaltigkeit für die Finanzbranche. Seine Themenschwerpunkte sind die nachhaltige Transformation der Finanzbranche, die Konzeption und Umsetzung von ESG-Datenflüssen zur Verwendung in Kreditinstituten, die Zusammenarbeit mit Regulatoren sowie die globale Implementierung von E2E-Prozessen.

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