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Agenturmodell: Der Automobilhandel als Wegbereiter der Vertriebstransformation

Dr. Nepomuk Kessler
29. Sep. 2020
capgemini-invent

In unserem ersten Blogbeitrag haben wir die Herausforderungen der Automobilbranche und die resultierenden Chancen bei der Einführung des Agenturmodells beleuchtet (Agenturmodell: Der Shootingstar des zukünftigen Automobilvertriebs). Das hierfür entwickelte „Capgemini Invent Agency Sales Model Framework“ beinhaltet sechs übergeordnete Prinzipien, die dabei helfen, mit der Einführung des Agenturmodells einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.

Dieser Blogbeitrag stellt anhand der beiden Dimensionen Structure und Strengthen das Zusammenspiel von OEM und Handel in den Fokus.

Capgemini Invent Agency Sales Framework_Structure and Strengthen
Abbildung 1: Capgemini Invent Agency Sales Framework

„Kundenbedürfnisse müssen die intrinsische Motivation unseres Handels darstellen… nur so lässt sich das Vertriebsmodell der Zukunft wirtschaftlich und nachhaltig für alle Anspruchsgruppen gestalten“. (Geschäftsführer Handelsgruppe)

Der Automobilhandel muss als zentraler, partnerschaftlicher Ansprechpartner des Kunden betrachtet werden. Die Ergebnisse aus über 50 Händlerinterviews (in Deutschland, Schweden, China, Spanien, Frankreich und Großbritannien) heben jedoch hervor, dass 96% der Händler das bestehende Vertriebsmodell als „veraltet“ bewerten.

Auf Basis unserer exklusiven Interviews sowie den Ergebnissen unserer Kundenstudie („92% der befragten Konsumenten erachten einen persönlichen Kontakt beim Fahrzeugkauf als essenziell!“) lassen sich rund um die Einführung des Agenturmodells weitere Herausforderungen sowie zahlreiche Erfolgsfaktoren identifizieren und Handlungsempfehlungen ableiten. Denn eines ist sicher – auch im Vertriebsmodell der Zukunft spielt der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Handel während des Verkaufsprozesses eine elementare Rolle.

Structure – Hybride Vertriebsmodelle auf dem Weg zur Kundenzentrierung

Das erste Prinzip (Structure) des „Capgemini Invent Agency Sales Model Framework“ stellt die Basis bei der Einführung eines weiteren Vertriebsmodells („Stichwort: Hybridisierung der Vertriebsmodelle“) dar. Dabei steht die übergeordnete strategische Ausrichtung hin zu einem Agenturmodellansatz im Fokus eines kundenzentrierten Ökosystems. Dem Hersteller muss es hierbei gelingen, das Vergütungsmodell so zu gestalten, dass eine entsprechend nachhaltige, wirtschaftliche Partizipation aller Stakeholder möglich ist. Daran geknüpft baut das Prinzip Strengthen auf der gemeinschaftlichen Gestaltung dieses neuen Vertriebsmodells auf und fordert ein bilaterales Engagement bei der Ausarbeitung, Einführung sowie Ausgestaltung der mittel- bis langfristigen Umsetzung. Denn Händler und OEMs sind sich einig, dass die Einführung eines neuen Vertriebsmodells auch in diesen schwierigen Zeiten ein notwendiger Schritt ist, um das Überleben zu sichern und langfristig am Markt gemeinsam bestehen zu können.

„Für mich ist das Vertriebsmodell Agenturgeschäft das Modell, welches in Zukunft am fähigsten ist. Es verlangt vorerst von allen Parteien einen enormen Invest – stärkt aber alle Stakeholer nachhaltig – und das geht nur im Schulterschluss“. (Geschäftsführer Automobilhandelsverband)

Wichtige Erfolgsfaktoren der Vertriebslandschaftstransformation stellen dabei die hohen Vertriebskosten dar, die schon heute die Ertragschancen zum Teil übersteigen und dazu führen, dass automobilferne Geschäftszweige das originäre Kerngeschäft „Handel“ quersubventionieren müssen. Getrieben durch neue Startups (z.B. Carwow, HeyCar, CarOnSale) gilt es, diesem Druck mit entsprechenden Lösungsansätzen entgegenzuwirken.

„Wenn ich Sporttaschen und Bobby-Cars zur Sicherstellung meiner Profitabilität verkaufen muss, scheint das bestehende System Automobilvertrieb mit einem deutlichen Fehler behaftet zu sein!“ (Verkaufsleiter Automobilhandel)

Um strukturelle Herausforderungen und Voraussetzungen für Handel und OEM im Zuge der Einführung des Agenturmodells besser zu verstehen, werden nachfolgend die verschiedenen Dimensionen, die mit dem Prinzip Strengthen einhergehen, beleuchtet.

Strengthen – Die Partnerschaft zwischen Handel und OEM als zentraler Erfolgsfaktor im zukünftigen Vertrieb

Nur mit einer Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen OEM und Handel wird der Agenturvertrieb zum Erfolg. Trotz der aktuell erschwerten Rahmenbedingungen können z.B. die Bausteine unseres Capgemini Sales Recovery Frameworks dabei unterstützen, finanziell gestärkt, aber auch mit mehr Kundenfokus in Richtung Zukunft zu steuern.

„Das Gesicht vor Ort mit Expertise und Online-/Offline- Erreichbarkeit stellen wir als Vertriebsexperten langfristig auch im Agenturmodell dar“. (Geschäftsführer Automobilhandelsbetrieb)

Einigkeit herrscht bei den befragten Händlern darüber, dass die Transformation hin zu einem Agenturmodell einen zentralen Aspekt dabei einnimmt. 80% der interviewten Führungskräfte aus dem Handel sehen ihre Zukunft als Agent – weniger als klassischer Händler oder reiner Service-Dienstleister.

Welche zentralen Aspekte darüber hinaus noch berücksichtigt werden müssen, diskutieren wir im Folgenden.

Abbildung 2-Erfolgsfaktoren des Agenturmodells aus der Perspektive des Handels
Abbildung 2: Erfolgsfaktoren des Agenturmodells aus der Perspektive des Handels, Capgemini Invent

1) Faires & nachhaltiges Vergütungsmodell zur Sicherstellung der Kundenzentrierung

Die Höhe der Provision für den Handel – anstelle einer klassischen Vertriebsmarge (Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis) – wird auf allen Ebenen als zentraler Erfolgsfaktor betrachtet. Dass allen Partnern die gleiche Provisionsvoraussetzung bereitgestellt wird und keine individuellen Kundenangebote möglich sind, heben alle befragten Händler, unabhängig ihrer Betriebsgröße, als entscheidenden Erfolgsfaktor hervor. Nur mit einer einheitlichen Provisionierung kann sichergestellt werden, dass der Handel zufrieden gestellt wird und flächendeckend eine entsprechende Kundenzentrierung gewährleisten kann.

„Eine ausreichende Provision ist ein wesentlicher Punkt, um das Agenturmodell auch für den Handel attraktiv zu gestalten“. (Geschäftsführer Automobilhandel)

2) Preistransparenz & Wettbewerb als Hebel zur erhöhten Kundenzufriedenheit

Die einheitlichen, durch den Hersteller vorgegebenen Preise, stellen dabei sicher, dass dem Kunden, die im Schnitt 2,5 Händlerbesuche (vornehmlich zur Preisverhandlung) aufsuchen, erspart bleiben. Ein transparenter und einheitlicher Preis garantiert dabei den Händlern eine bessere Planbarkeit bei gesicherten Margen (ca. 2%) sowie einen reduzierten Intra- und Interbrandwettbewerb. Einhergehend mit der gesteigerten Omnikanalität über Onlineverkaufsangebote kann der Handel somit einen klaren Fokus auf den Kunden legen, um so die allgemeine Zufriedenheit aller Stakeholder zu steigern.

„Kunden wollen auch nach dem Kauf das Gefühl haben, keine Chance auf ein besseres Angebot ausgelassen zu haben – Preistransparenz ist die Antwort“. (Geschäftsführer Automobilhandel)

3) Neue IT-Infrastruktur und Prozesse zur Optimierung der Kundenansprache

Die durch die (zumeist) neuen Handelsverträge geschaffene Datentransferierbarkeit zwischen Handel und Hersteller ermöglicht dem Handel eine gezieltere, Analytics-basierte Kundenansprache. Auch hier eröffnen sich durch eine gesteigerte Transparenz im Leadmanagement-Prozess sowie eine verbesserte 360-Grad-Kundensicht erhöhte Verkaufsabschlusschancen. Sichergestellt werden müssen dabei eine durchgängige IT-Infrastruktur sowie neue, auf die digitalen Kanäle angepasste Prozesse.

„Der Kunde ist Treiber des Wandels, weshalb seinen Anforderungen nach einem integrierten Kundenerlebnis durch entsprechende IT und neue Prozesse nachgekommen werden muss“. (Geschäftsführer Automobilhandel)

What‘s Next

Für die erfolgreiche Einführung des Agenturmodells bleibt eines klar – der Schulterschluss zwischen OEM und Handel muss zeitnah geschehen. Dabei empfehlen wir, sich bei den zentralen Eckpfeilern der Transformation an den Prinzipien des „Capgemini Agency Sales Framework“ zu orientieren. Die übergreifenden Agenturvertriebsstrategie, der Investment-Case sowie das Omnikanal-Management müssen durch den OEM unter Berücksichtigung für den Handel relevanter Aspekte nachhaltig gestaltet werden:

  • Schaffung eines nachhaltigen Vergütungsmodells für den Handel
  • Einführung einer performanten IT-Landschaft inklusive Onlinevertriebsplattform
  • Reduzierung des Intra- und Interbrand-Wettbewerbs durch Preistransparenz
  • Vertrauensvolle Zusammenarbeit durch frühzeitige Einbindung und transparente Kommunikation

Im Zuge der Umsetzung und der parallelen Existenz zu derzeitigen Vertriebsmodellen, wird es immer wieder zu neuen Herausforderungen kommen. Schaffen es die OEMs nicht, die entsprechenden Antworten für alle Vertriebsstufen zu finden, stehen nicht nur Kundenabwanderungen, sondern auch eine weiter verstärkte und kritische Handelskonsolidierung bevor.

Vielen Dank an die Co-Autor*innen Charlotte Schindler und Anne Junge.


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Autor

Dr. Nepomuk Kessler

Director | Head of Digital Commerce, Capgemini Invent Germany
Dr. Nepomuk Kessler ist Director bei Capgemini Invent mit langjähriger Erfahrung im Bereich Customer Experience Management mit globalem Footprint in der Automobil- und Mobilitätsindustrie (OEM, Zulieferer, Mobilitätsdienstleister). Er ist ein kundenorientierter Geschäftsmodell-Innovator, der die digitale Transformation des Kundenerlebnisses über alle Vertriebsstufen hinweg erfolgreich gestaltet.