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Kreislauforientierte Beschaffung: Die Bundesverwaltung als Wegbereiter für eine nachhaltige Zukunft

Dr. Helge Maas
13.09.2023
capgemini-invent

Als eine der größten Einkäuferinnen innerhalb Deutschlands hat die öffentliche Hand ein erhebliches Einflusspotenzial auf die (inter)nationale Nachfrage und globale Wertschöpfungsketten. Laut der jüngsten Vergabestatistik des BMWK beläuft sich das jährliche Volumen an öffentlichen Aufträgen und Konzessionen von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland auf über 100 Milliarden € [1]. Mit dieser „Einkaufsmacht“ stehen öffentliche Auftraggeber in einer besonderen Verantwortung, eine strategische Rolle bei der Verwirklichung von beschaffungsrelevanten Nachhaltigkeitszielen einzunehmen [2].

Dem öffentlichen Sektor wird insbesondere in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft eine Vorbildfunktion zugesprochen, welche durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) unterstrichen wird [3]. Somit sind Aspekte der Kreislaufwirtschaft auch in die Beschaffungsvorgänge zu integrieren. Durch die gesamtheitliche Betrachtung der Themen im Rahmen einer „kreislauforientierten Beschaffung“ können sowohl Treibhausgas-Emissionen als auch der Verbrauch natürlicher Ressourcen konsequent reduziert werden.

Die Kreislaufwirtschaft verfolgt das Ziel, den Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen so lange wie möglich zu erhalten, sodass Abfallmengen und Umweltbelastungen deutlich reduziert werden[4]. Im Jahr 2012 hat die Bundesregierung das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) verabschiedet, um diese Idee voranzutreiben. Nach §45 KrWG werden Bundesbehörden dazu verpflichtet, ihren Beitrag zur Kreislaufwirtschaft zu leisten. Für das Verwaltungshandeln gilt somit die Pflicht zum Vorzug kreislauffähiger Produkte und Materialien, die beispielsweise ressourcenschonend, recyclingfähig, wiederverwendbar, schadstoffarm, langlebig, reparaturfreundlich oder abfallarm sind. Darüber hinaus verweist die AVV Klima in §4 Abs. 7[5] auf §45 KrWG und verankert damit die Berücksichtigung kreislaufbezogener Kriterien im Vergaberecht. In der folgenden Abbildung ist ersichtlich, wie Aspekte der Kreislaufwirtschaft in den öffentlichen Beschaffungsprozess integriert werden können.

Quelle: Capgemini, eigene Darstellung in Anlehnung an Eßig, M. (2008), S. 300

Das „Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit der Bundesregierung” (MPNH) legt nachhaltige Anforderungen für die Bundesverwaltung fest. In diesem Kontext verweist es u. a. auf das KrWG und die AVV Klima und sieht die Einführung des “Eco-Management and Audit Scheme” (EMAS) in allen obersten Bundesbehörden bis zum Jahr 2025 vor. Damit Organisationen EMAS einführen können, ist eine solide Datenbasis zu Umweltaspekten erforderlich, weshalb Bundesbehörden bereits in der Vorbereitungsphase ihre Ressourcenströme und Umweltaspekte analysieren sollten [6].

Auf Bundesebene hängt der Erfolg einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung maßgeblich von dem Engagement der Beschaffungsstellen des Kaufhauses des Bundes (KdB) ab. Allein das Beschaffungsamt des BMI als zentrale Einkaufsorganisation für die Verwaltung verantwortet ein jährliches Auftragsvolumen von ca. 5,2 Milliarden € [7]. Durch die etablierten Rahmenverträge, über welche ein bedeutender Teil der Aufträge für standardisierbare Massengüter bezogen wird, stellen sie einen der wichtigsten Akteure der öffentlichen Beschaffung dar. Darüber hinaus spricht die Bundesregierung ihnen eine koordinierende Funktion als „Manager, Förderer und Berater für nachhaltige Beschaffung“ zu [8].

Die jüngste Vergabestatistik für das zweite Halbjahr 2021 zeigt auf, dass der Stand der Umsetzung deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. Nachhaltigkeitskriterien finden lediglich in 12,7 % der Aufträge auf allen Verwaltungsebenen Berücksichtigung. Auf Bundesebene ist der Anteil mit 9,3 % sogar noch niedriger [9]. Laut dem Prüfbericht des Bundesrechnungshofs werden die Beschaffungsstellen des KdB ihrer vorgesehenen Rolle gegenwärtig nicht ausreichend gerecht. Das legt nahe, dass die Integration von Nachhaltigkeitskriterien in öffentliche Beschaffungen weitgehend von der Eigeninitiative der Bedarfsträger abhängig ist [10].

Entwicklung einer Umsetzungsstrategie des KrWG in der öffentlichen Verwaltung

Die Erarbeitung einer strukturierten und zielgerichteten Strategie zur Umsetzung der Vorgaben des KrWG in den Bundesbehörden ist essenziell. Sie dient dazu, eindeutig festzulegen, wie die Kreislauffähigkeit der beschafften Produkte zu bestimmen ist. Außerdem beinhaltet sie klar definierte Ziele, Maßnahmen und Monitoring-Instrumente zur langfristigen Förderung von der Kreislaufwirtschaft. Insgesamt sollte die Strategie mit EMAS sowie dem Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit im Einklang stehen und Nachhaltigkeit und Kreislauffähigkeit ganzheitlich vorantreiben. Bei der Entwicklung der Strategie empfehlen wir einen fünfstufigen Ansatz, der in der nachfolgenden Grafik dargestellt wird.

Das KrWG gibt vor, welchen Beschaffungsleistungen Vorzug zu gewähren ist, um die Kreislaufwirtschaft in Behörden zu fördern. Explizite Labels und Zertifikate, mit denen die Kreislauffähigkeit bestimmter Produkte konkret und ganzheitlich abgebildet werden, sind derzeit noch selten. Im ersten Schritt ist daher ein Kennzahlensystem für die Einordnung der Kreislauffähigkeit der beschafften Leistungen zu entwickeln. Hier könnte beispielsweise eine leicht verständliche und informative Skala oder ein Label zur Einschätzung des Anteils von recyclefähigen Materialien entworfen werden. Für die Entwicklung des Kennzahlensystems ist die Zusammenarbeit der einzelnen Behörden sowie die Kooperation mit Forschungseinrichtungen denkbar. Die entwickelten Indikatoren bilden nicht nur die Grundlage für die Durchführung der Bestandsaufnahme, sondern auch für die spätere Umsetzung und Evaluierung der eingeführten Maßnahmen.

Im Zuge der Bestandsaufnahme ist es erforderlich, die Ausgangssituation im Hinblick auf die Kreislauffähigkeit der beschafften Leistungen zu erfassen. Dazu gehört neben der Erhebung der Anzahl und der Art der Beschaffungsleistungen auch die Aufnahme bestehender Beschaffungsprozesse und Zuständigkeiten. Ebenfalls wird in diesem Zusammenhang identifiziert, ob die betrachteten Erzeugnisse zentral beim KdB oder dezentral über die jeweilige Behörde beschafft werden. Außerdem sollte der Informationsstand und der Sensibilisierungsgrad der Mitarbeitenden für die Kreislaufwirtschaft erhoben werden, da die Mitarbeitenden durch ihr operatives Handeln und dem daraus resultierenden Bedarf an Produkten die Nachfrage für die beschafften Leistungen beeinflussen. Um insgesamt ein gutes Verständnis von der Ausgangslage zu bekommen, können Interviews mit relevanten Entscheidungsträger*innen und Mitarbeitenden der Behörde geführt werden. Außerdem kann eine Dateneinsicht in die Bestellplattform der Behörde helfen. Die während der Bestandsaufnahme zusammengetragenen Informationen dienen als Grundlage für die Festlegung von konkreten Zielen und die Identifizierung von entsprechend erforderlichen Maßnahmen.

Das KrWG legt keine Fristen für die Erreichung der in dem Gesetz genannten Pflichten für die Bundesbehörden fest. Um jedoch,­ gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz [11], die Klimaneutralität in der öffentlichen Verwaltung bis zum Jahr 2030 zu erreichen, ist es erforderlich, dass sich die einzelnen Behörden konkrete Ziele hinsichtlich Kreislaufwirtschaft setzen. Es wird empfohlen, dass die Ziele SMART (spezifisch, messbar, ausführlich, realistisch und terminiert) sind und sich an den im KrWG erwähnten Kriterien orientieren. Beispielsweise sollten klare Fristen festlegt werden, bis zu denen ein festgesetzter Anteil der beschafften Produkte zum Großteil aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wurde, reparierbar oder recyclingfähig ist. Hierfür ist eine Marktbeobachtung durchzuführen, um zu identifizieren, welche Produkte als Alternative für die bestehenden Produkte dienen könnten und ob es für alle Produkttypen ausgewiesene, kreislauffähige Alternativen auf dem Markt gibt. Dies dient dazu, die Ziele möglichst realistisch zu gestalten. Außerdem sollte auch eine Priorisierung bestimmter Produkttypen vorgenommen werden, um die Ziele spezifischer zu halten. Wir empfehlen, dass der Fokus zunächst auf diejenigen Produkttypen gelegt wird, bei denen die Kreislauffähigkeit am besten messbar und als am einfachsten erreichbar eingestuft wird, um kurzfristige Erfolge zu verzeichnen. Langfristig sollte ein Hauptaugenmerk auf diejenigen Beschaffungsleistungen gerichtet werden, die aufgrund ihrer Anzahl und Umweltauswirkungen als besonders kritisch für die Erreichung von Nachhaltigkeits- und Kreislaufwirtschaftszielen eingestuft werden. Allgemein ist es essenziell, dass die Ziele nicht nur in Einklang mit den Vorgaben des KrWG, sondern auch mit den lokalen Gegebenheiten vereinbar sowie mit den relevanten Stakeholdern abgestimmt und koordiniert sind.

Anhand des Status quo sowie der Ziele sollten spezifische und zielgerichtete Maßnahmen entwickelt werden. Gemäß dem KrWG sollten sich die Maßnahmen auf folgende drei Teilbereiche fokussieren: 1) die Beschaffung und Nutzung von Materialien und Gegenstände; 2) Bauprojekte und sonstige Aufträge; 3) die Organisation der Arbeitsprozesse in der Behörde. In Bezug auf Punkt 1) und Punkt 2) sollten die Maßnahmen die Festlegung von klaren, kreislaufbezogenen Kriterien und Prozessen für die Beschaffung beinhalten sowie bereits die Bedarfserstellung optimieren. Außerdem sollte die Nutzungsdauer der verwendeten Produkte evaluiert und dabei auch die in §6 KrWG beschriebene Abfallhierarchie [12] befolgt werden. Diese Grundsatznorm besagt, dass der Vermeidung von Abfall stets Vorrang zu gewähren ist und somit Produkte möglichst lange genutzt werden sollten. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass neue Geräte häufig umweltfreundlicher bzw. energieeffizienter als ihre Vorgängermodelle sind. Beispielsweise legt die EU-weite Ökodesign-Richtlinie [13] bestimmte Mindestanforderungen hinsichtlich der Umweltverträglichkeit von energieverbrauchsrelevanten Produkten fest, weswegen die jeweilige Behörde durch den Austausch von Geräten langfristig Energie- und Kosteneinsparungen erreichen könnte. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Aspekts besagt das KrWG, dass durch das Befolgen der Kriterien des KrWG keine unangemessenen Mehrkosten entstehen dürfen sowie der Wettbewerb nicht erheblich beeinträchtigt werden darf. Dies zeigt die Komplexität von nachhaltigkeitsbezogenen Maßnahmen, da stets ökologische, soziale und ökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt und die ganzheitlichen Auswirkungen einzelner Maßnahmen evaluiert werden sollten. Nach der Maßnahmenidentifizierung wird jede Maßnahme detailliert beschrieben, eine Priorisierung vorgenommen und ein konkreter Umsetzungsplan erstellt. Letzterer beinhaltet klar definierte Kennzahlen (KPIs), die sowohl wirtschaftliche Gesichtspunkte als auch die Vorteile der Maßnahme für die Erreichung der Kreislauffähigkeit abdecken.

Schließlich sollte, wie im KrWG erwähnt, eine gezielte Organisationsstruktur zur Förderung der Kreislaufwirtschaftsbestrebungen in den Behörden etabliert werden. Das Thema sollte demnach auf allen Organisationsebenen integriert und alle Mitarbeitenden sollten für das Thema sensibilisiert werden. Wir empfehlen einen partizipativen Ansatz, der ein übergreifendes Kommunikationskonzept zur Information der Belegschaft über Ziele und Maßnahmen beinhaltet. Die Zuständigkeiten sollten klar bestimmt und feste Ansprechpersonen auf allen Organisationsebenen für das Thema eingesetzt werden. Diese Ansprechpersonen dienen nicht nur als Anlaufstelle für die Belegschaft, sondern treiben das Thema Kreislaufwirtschaft intern voran. Dafür sollten regelmäßige Steuerungskreise abgehalten und ein kontinuierliches Berichtwesen etabliert werden.

Letztendlich sollte ein kontinuierlicher Monitoring- und Controlling-Prozess etabliert werden. Dieser stellt sicher, dass eine stetige Evaluation der Wirkung der umgesetzten Maßnahmen erfolgt. Somit wird die Möglichkeit geschaffen, gezielt nachzusteuern und Maßnahmen dementsprechend anzupassen, falls im Monitoring-Prozess ersichtlich wird, dass diese Maßnahmen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen. So können Herausforderungen frühzeitig identifiziert und adressiert werden.

Die Ergebnisse dieses fünfstufigen Prozesses fließen in ein finales Umsetzungskonzept ein, das einen klaren, strukturierten Fahrplan zur Umsetzung des KrWG in den Bundesbehörden aufzeigt.

Fazit

Das KrWG besteht bereits seit über zehn Jahren in Deutschland. Jedoch sind weiterhin nur begrenzte Fortschritte im öffentlichen Sektor bei der Berücksichtigung von kreislaufbezogenen Kriterien in der öffentlichen Beschaffung zu verzeichnen. Angesichts der erheblichen Einkaufsmacht der öffentlichen Hand ist von entscheidender Bedeutung, Kreislaufwirtschaftsprinzipien auf Bundesebene systematisch voranzutreiben. Es ist an der Zeit, dass sich jede Bundesbehörde ihrer Verantwortung bewusst wird und entsprechend handelt. Die Entwicklung einer gezielten Strategie zur Integration von Kreislaufwirtschaftsprinzipien in den einzelnen Behörden ist von entscheidender Bedeutung, um gemeinsam die öffentliche Beschaffung zukunftsfähiger zu gestalten. Ein „Weiter-wie-bisher“ sollte mit Blick auf die ambitionierten Nachhaltigkeitsziele des Bundes keine Option mehr sein.

Vielen Dank an meine Co-Autorinnen Carolin Elmer und Antonia Pohlmann.


Autor

Dr. Helge Maas

Director | Sustainability Lead Public Sector Germany, Capgemini Invent Germany
Ich berate Kommunen, Behörden und Ministerien seit über 14 Jahren zu den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Ich unterstütze meine Kunden dabei, ihre ambitionierten Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsziele zu erreichen sowie gesetzliche Vorgaben einzuhalten – stets getreu dem Motto „Global denken, lokal handeln“.

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