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Transparenz & Robustheit: Schlüssel zur Auto-Supply-Chain Resilienz

Dr. Andreas Ebner
21.02.2024
capgemini-invent

In der heutigen rasanten und global vernetzten Geschäftswelt stehen Supply Chains vor einer Fülle von Herausforderungen durch Disruptionen und Krisen. Naturkatastrophen, Kriege und globale Gesundheitspandemien haben in jüngster Zeit unmissverständlich die Anfälligkeit weltumspannender Supply Chains verdeutlicht. Ein singulärer Zwischenfall wie eine Kanalblockade oder ein Erdbeben in einer weit entfernten Region kann globale Wertschöpfungsketten wie ein Kartenhaus zusammenstürzen lassen.

In einem solchen Umfeld führt die Erhöhung der Resilienz zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Denn Resilienz in der Supply Chain führt zur

  • Minimierung der Anfälligkeit für Störungen
  • Reduzierung des Einflusses und der Dauer von Unterbrechungen
  • Steigerung der Leistungsfähigkeit nach Krisensituationen

Um diesen Vorsprung gegenüber Wettbewerber zu erzielen, muss eine Supply Chain über die Fähigkeiten verfügen

  1. Risiken zu erkennen und durch angemessene Maßnahmen deren Eintrittswahrscheinlichkeit zu reduzieren
  2. Auswirkungen unvermeidbarer Störungen durch eine hohe Flexibilität und proaktive Reaktionen zu begrenzen
  3. Krisen mit vordefinierten Strategien zu begegnen, um die Dauer der Einschränkungen zu reduzieren

Trotz dieser Vorteile zeigt sich bei einem Blick auf Unternehmen in der Automobilbranche eine alarmierende „Resilienz-Lücke“. Unser Report “Lieferketten in der Automobilindustrie” zeigt, dass nur knapp die Hälfte der Automobilunternehmen die Risiken ihrer Tier-1 Lieferanten überwacht und im Schnitt nur 60 Prozent des Umsatzverlusts vermeiden könnten, wenn sich ähnliche Störungen wie im letzten Jahr wiederholen würden. Für viele Unternehmen besteht die wahre Herausforderung darin, die für eine resiliente Supply Chain erforderlichen Fähigkeiten und Strategien zu verstehen. Im ersten Teil unserer Serie steigen wir ein in zwei der zentralen Fähigkeiten einer resilienten Supply Chain: Transparenz und Robustheit.

Transparenz ist nicht alles, aber der erste Schritt zur resilienten Supply Chain

Transparenz ist entscheidend, um alle Fähigkeiten einer resilienten Supply Chain herauszubilden. Gleichzeitig ist Transparenz der Schlüssel dazu, Risiken frühzeitig zu erkennen und Schwachstellen in der Supply Chain zu identifizieren. Um ein umfassendes Risikobild zu schaffen, ist es notwendig, die Risiken aller Lieferanten bis auf die Stufe der Rohstofflieferanten sichtbar zu machen. Hierdurch gewinnt man wertvolles Wissen über mögliche Ausfälle, die alle nachgelagerten Knotenpunkte der Supply Chain betreffen können. Zur Identifizierung der nachgelagerten Lieferanten sollte eine enge Abstimmung mit dem Nachhaltigkeits-Ressort erfolgen. So kann auf bestehenden Initiativen zur Erzielung der Tier N Transparenz aufgebaut und zur Erreichung des gleichen Zieles die Kosten geteilt werden. 

Wir empfehlen die Betrachtung folgender Risikofaktoren für die Automobilbranche:

  • Naturkatastrophen
  • Cybersicherheitslücken
  • Transportverzögerungen
  • Verstöße gegen Nachhaltigkeitsregularien
  • Rohstoffrisiken

Je nach Produktportfolio, Lieferantennetzwerk oder Branche ist die Betrachtung weiterer Risikofaktoren relevant. Die Risiken werden bis auf Tier-N-Ebene durch einen Risikoradar erfasst und in einen Supply Chain Control Tower integriert.

Über die Verknüpfung mit den Daten zu Beständen, Lieferzeiten, Durchlaufzeiten usw. wird Transparenz über das Schadenspotenzial für jeden Lieferanten individuell geschaffen. Bei der Quantifizierung von Risiken kommen Metriken wie “Time To Recover” (TTR), “Time to Survive” (TTS) und “Performance Impact” (PI) zum Einsatz. Des Weiteren werden Lieferanten mit Verstößen gegen Nachhaltigkeitsregularien identifiziert, deren sofortiger Ausschluss aus der Supply Chain notwendig ist. Auf Basis der KPIs können Lieferanten segmentiert und geeignete Maßnahmen für jede Gruppe festgelegt werden. Die Weiterführung des Supply Chain Control Towers zu einer Abbildung des Netzwerks in einem digitalen Zwilling ermöglicht mittels Szenarien-Simulation, vorausschauend optimale Maßnahmen zur Risikomitigation zu finden.

Unterstützt werden die Tätigkeiten im Supply Chain Control Tower durch Generative AI (GenAI). GenAI generiert durch die Kombination von Risikosignalen aus verschiedenen Quellen lieferantenspezifische Risikobewertungsberichte. Ebenfalls automatisiert GenAI bei dem Versenden der Anfragen zur Validierung von Informationen an Lieferanten und unterstützt bei der Optimierung der Verhandlungsstrategien zur Umsetzung von wirksamen Mitigationsmaßnahmen.

Wer durch Robustheit weniger Risiken entstehen lässt, muss sich um weniger Disruptionen sorgen

Robustheit ist entscheidend, um die Leistungsfähigkeit der Supply Chain während Störungen zu gewährleisten. Eine zentrale Maßnahme ist die Nominierung widerstandsfähiger Lieferanten, die Disruptionen besser bewältigen können. Dafür werden in enger Zusammenarbeit mit Partnern Risikokategorien definiert, um im Nominierungsprozess neben dem Preis risikobezogene Leistungskennzahlen berücksichtigen zu können. Diese Strategie stärkt die Robustheit Supply Chain, da widerstandsfähigere Lieferanten bei der Nominierung bevorzugt werden. Insbesondere Lieferanten mit hohen Nachhaltigkeitsstandards tragen hierbei zur Resilienz bei, da die damit verbundenen Anforderungen an die Produktionssicherheit zu weniger Ausfällen oder Produktionsstops durch Behörden führen.

Darüber hinaus umfasst die Erhöhung der Robustheit die Analyse kritischer Lieferanten in großen Beschaffungsportfolios. Diese Analyse deckt Risiken in der Supply Chain auf und ermöglicht gezielte Entwicklungsmaßnahmen, um die Robustheit besagter kritischen Lieferanten zu steigern. Dies kann Schulungen, verbesserte Prozesse oder die Diversifizierung der Lieferantenbasis beinhalten.

Die Festlegung optimaler Lagerbestände an jedem Knotenpunkt der Supply Chain ist ein weiterer Schlüssel zur Robustheit. Hierfür werdengründliche Lagerbestandsanalysen genutzt, bei denen Faktoren wie Kosten und Service-Level berücksichtigt werden. Auf diese Weise können Unternehmen die richtige Menge an Vorräten sicherstellen, um die Leistungsfähigkeit der Supply Chain zu gewährleisten, ohne unnötige Lagerkosten zu verursachen. Ebenfalls werden so Überbestände vermieden, die sich als reduzierte Entsorgungen direkt in einer erhöhten Nachhaltigkeit widerspiegeln.

Ein weiterer wichtiger Schritt zur Robustheit besteht in der Gestaltung eines widerstandsfähigen Netzwerks, das bei kritischen Bauteilen auf nachhaltiges lokales Sourcing für schnelle Lieferzeiten setzt. Dadurch werden bereits im Design der Supply Chain Risiken minimiert, um den Betrieb an kritischen Knotenpunkten auch bei Störungen aufrechtzuerhalten. Durch die Einbindung lokaler Produktionsstätten und Lieferanten in das Netzwerk wird nicht nur die Umweltbelastung reduziert, sondern auch die Versorgungssicherheit erhöht und die Reaktionszeiten verbessert. Bei der Gestaltung dieses Netzwerks werden sowohl die Versorgungskosten als auch die Reaktionszeiten der Supply Chain berücksichtigt, um eine optimale Balance zwischen Effizienz und Robustheit zu erreichen. Hierfür empfehlen wir beispielsweise eine Netzwerkplanung, die neben geringen Kosten auch eine zeitlich begrenzte Selbstständigkeit in der Kundenbelieferung eines jeden Lagerstandorts berücksichtigt.

In der Prävention liegt kein Ruhm? Im Gegenteil, erfolgreiche Prävention ist der Ruhm!

Die Schaffung einer widerstandsfähigen Supply Chain erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die auf den Grundpfeilern der Transparenz und der Robustheit basiert. Sie schafft die Rahmenbedingungen, um Risiken in der Supply Chain frühzeitig zu erkennen und das Netzwerk sowie die Lieferantenbasis so zu gestalten, dass diese Risiken minimiert werden können. Jedes so vermiedene Risiko zahlt sich auf die Performance der Supply Chain aus und sichert langfristig den unternehmerischen Erfolg im Supply Chain Management.

Vielen Dank an den Co-Autor Dr. Henrik Bathke.

Unser Experte

Dr. Andreas Ebner

Senior Manager | Intelligent Industry (Supply Chain Transformation), Capgemini Invent Germany
Als Senior Manager im Bereich Intelligent Industry – Supply Chain bringe ich über ein Jahrzehnt Beratungserfahrung in verschiedenen Industrien mit. Mein Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Logistik. Weitere Schwerpunkte meiner Arbeit und meines Teams liegen im Bereich der Netzwerk- und Transportkostenoptimierung sowie des Risk-Managements zur Steigerung der Supply Chain Resilienz.

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