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Risikomanagement im Wandel – Wie Klimarisiken die Bankenwelt verändern

Marco Meyer
25. Jan. 2023
capgemini-invent

Der Klimawandel und die Energiewende gehören zu großen Themen unserer Zeit. Sie haben Auswirkungen auf alle Bereiche unseres Lebens sowie unserer Wirtschaft. Aber wie sehen diese Auswirkungen im Detail aus? Welche neuen Risiken bergen sie und wie können wir diesen Risiken begegnen?



ESG-Themen erhalten aktuell in allen Bereichen viel Aufmerksamkeit. Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien in Form von qualitativen Bewertungen von Unternehmen und Investitionen ist mittlerweile verbindlich in der Regulatorik verankert. So ist beispielsweise das vom Bundestag verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz bereits im Januar diesen Jahres in Kraft getreten (1). Klimarisiken als Folge des Klimawandels sind wesentlicher Bestandteil von ESG-Kriterien. Laut einer Umfrage der Deutschen Bank (2) aus dem Jahr 2022 wird von Kunden Umwelt (Environment) als die wichtigste Säule erachtet. Innerhalb dieser wird der Klimawandel als kritischster Treiber gewertet. Dieser Säule liegen darüber hinaus messbare Parameter zugrunde, z.B. CO2-Emissionen, Temperaturanstieg, etc.. Um Klimarisiken im Finanzsektor angemessen zu begegnen, ist es wichtig, die Hintergründe zu verstehen und ein quantitatives Verständnis zu entwickeln.

Klimarisiken bringen frischen Wind in das Risikomanagement

Klimarisiken sind im ersten Umgang physische Risiken: Die Veränderung von Klima und Temperatur, das Schmelzen der Polkappen, der Anstieg des Meeresspiegels, vermehrt auftretende Naturkatastrophen. Auf Unternehmen und Banken haben Klimarisiken schon heute vielfältige Auswirkungen. Investitionen in klimaschädliche Bereiche können die Reputation einer Bank merklich schwächen. Die Investition in Geschäftsbereichen, deren Beständigkeit aufgrund des Klimawandels ungewiss ist, kann das strategische Risiko deutlich vergrößern. Auch die staatliche Regulierung der Energiewende in Form von neuen Auflagen und Gesetzen zum Klimaschutz wirkt sich auf Finanzinstitute aus. Jüngst wurden Klimarisiken als Teil von ESG-Risiken in der 7. Novelle der MaRisk (3) aufgenommen und damit die EBA-Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung (4) umgesetzt und neue Anforderungen an das Risikomanagement zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken gestellt. Insbesondere um Stresstests und Risikodatenmanagement auf die neuen Herausforderungen durch Einbeziehung von ESG-Risiken vorzubereiten, wurde ein neuer Abschnitt zur Verwendung von Modellen in die MaRisk aufgenommen. Auch die Europäische Zentralbank hat bereits einen Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken (5) veröffentlicht, in dem die Erwartungen der Aufsicht in Bezug auf Risikomanagement und Offenlegung vorgestellt werden.

Alle klassischen Finanzrisikobereiche sind betroffen

Klimarisiken spiegeln sich in allen traditionellen Finanzrisikobereichen wider. Im Kreditrisiko zeigt sich das u.a. in Form neuer Auflagen und Umweltschutzgesetze, wie z.B. zur Reduktion von CO2-Emissionen. Hohe Investitionen in neue Energieeffizienzstandards können die Rentabilität eines Unternehmens reduzieren, wodurch die Kreditausfallwahrscheinlichkeit steigt.

Makroökonomische Treiber wie z.B. die Entwicklung des CO2-Preises oder eine veränderte Stimmung am Markt ziehen eine Anpassung der Bewertung von Derivaten und Wertpapieren nach sich und spiegeln sich implizit im Marktpreisrisiko wider. Die erhöhte Eintrittswahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen und Stigmatisierung von bestimmten Geschäftsbereichen können einen Wertverlust von liquiden Aktiva nach sich ziehen, was schnell zu Liquiditätsengpässen führen kann.

Bei der Einbettung von Klimarisiken in klassische Finanzrisikokategorien wird grundsätzlich zwischen mikro- und makroökonomischen Übertragungswegen unterschieden (6). Dabei betreffen die ersteren den direkten Einfluss von Klimarisiken auf die Vertragspartner von Finanzinsitituten, während die letzteren den Einfluss auf makroökonomische Faktoren im Allgemeinen beschreiben. Beiden Übertragungswegen liegen komplexe kausale Netzwerke zugrunde. Ausgangspunkt zur Beschreibung des Einflusses von Klimaszenarien über diese Netzwerke bilden diverse, anwendungsbezogene Klimamodelle wie beispielsweise das regionale Klimamodell REMO (7).

Bei der Betrachtung von Klimarisiken müssen im Gegensatz zu klassischen Risikomodellen, bei denen für gewöhnlich historische Zeitreihen zur Kalibrierung genutzt werden, erheblich längere Zeitskalen berücksichtigt werden. Gemäß MaRisk sind die vorhandenen Datenhistorien zur Modellierung von Klimarisiken nicht ausreichend. Zudem müssen angemessene und aus wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeleitete Klimaszenarien berücksichtigt werden.

Die Wahl der passenden Modelle ist entscheidend

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Klimamodelle, die sich z.B. hinsichtlich der räumlichen und zeitlichen Granularität sowie Komplexität unterscheiden. Diese wiederum reicht von simplen Sensitivitätsmodellen bis hin zu mehrkomponentigen Konstrukten, die auch komplexe Szenarien abbilden können. Die Komplexität skaliert sowohl mit der räumlichen Auflösung wie auch mit dem betrachteten Zeithorizont. Bei der Wahl der passenden Modelle ist auch das Zusammenspiel vom Ort einer Investition und deren Sektor zu berücksichtigen. Der Zweck der Interpretation bestimmt maßgeblich die Aussage der Modelle, die sehr unterschiedlich und z.T. widersprüchlich ausfallen kann. Um die Genauigkeit und Aussagekraft zu verbessern, werden häufig mehrere verschiedene Modelle genutzt. Ein perfektes Beispiel dafür ist der aktuelle Bericht des Weltklimarates (8), dem die Analyse von etwa 100 verschiedenen Klimamodellen zugrunde liegt (9)[1].


[1] Auswertung im Rahmen des Coupled Model Intercomparison Projekts organisiert durch das Weltklimaforschungsprogramm

Klimaszenarien zeichnen sehr unterschiedliche Bilder der Zukunft

In den NGFS Climate Scenarios for central banks and supervisors (10) werden verschiedene Klimaszenarien vorgestellt, die im Wesentlichen durch die weltweite Klimapolitik ausgeprägt werden und sich in physischen Klimarisiken und Transitionsrisiken niederschlagen. Im Wesentlichen werden drei Szenario-Kategorien unterschieden: Geordnete und ungeordnete Szenarien sowie Treibhausklima (Hot House World).

Das Treibhausklima ergibt sich aus dem Beibehalten der aktuellen politischen Vorgaben zum Klimaschutz (geringe Transitionsrisiken). Es führt zu massiven physischen Folgen für die Umwelt. Durch Migration, zusammenbrechende Versorgungsketten, Naturkatastrophen etc. kann es zu regionalen oder sektionalen Geschäftsausfällen mit massivem Einfluss auf die Weltwirtschaft kommen. Die Auswirkungen auf das Geschäft von Banken sind schwer vorhersehbar.

Ungeordneten Szenarien führen zwar zur Einhaltung der Klimaziele und somit zu geringen physischen Risiken, jedoch durch eine regional sehr verschiedene oder insgesamt stark verspätete politische Reaktion. Die notwendigen engen politischen Rahmenbedingungen führen zu großen Transitionsrisiken in verschiedenen Bereichen, wie z.B. in Form von Regulatorik, technologischem Wandel oder veränderten Kundenpräferenzen. Umfassende Maßnahmen zur Risikomitigation sind notwendig, jedoch schwer vorherzusehen und zu quantifizieren.

In einem geordneten Szenario gibt es eine frühzeitige und weitestgehend einheitliche Klimapolitik zur Einhaltung der Klimaziele. Die diesen Klimaszenarien zugrunde liegende klare und vorhersehbare Agenda der Klimapolitik und Regulatorik führt zu moderaten Transitionsrisiken, da rechtzeitig Maßnahmen zur Risikomitigation ergriffen werden können.

Abbildung 1 stellt schematisch den Zusammenhang zwischen Klimaszenarien und Risikosteuerung dar: Die klimapolitischen Rahmenbedingungen sind der wesentliche Treiber, aus denen sich in erster Linie Transitionsrisiken ergeben. Physische Risiken und klimapolitische Entscheidungen bedingen sich gegenseitig. Im Zusammenspiel mit den Transitionsrisiken lässt sich der Einfluss auf die klassischen Finanzrisikobereiche ableiten. Eine moderne Risikosteuerung muss im Rahmen denkbarer Klimaszenarien in der Lage sein, die klimapolitischen Aspekte einzuwerten, damit rechtzeitig und koordiniert Maßnahmen zur Risikomitigation ergriffen werden können. Dazu ist ein Überblick über das Gesamtbild unerlässlich.

Zusammenhang zwischen Klimaszenarien und Risikosteuerung
Abbildung 1: Klimaszenarien werden wesentlich durch politische Rahmenbedingungen festgelegt. Über Transitionsrisiken und physikalische Risiken wirken sie sich auf die klassischen Finanzrisikobereiche aus.

Ein guter Überblick über die richtige Interpretation liefert den entscheidenden Vorteil

Die obige Abbildung skizziert stark vereinfacht die Einwirkung von Klimarisiken auf Finanzrisiken und damit die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Klimarisikoaspekten in der Finanzrisikomodellierung. Die Einwertung von Szenarien und Modellen ist hier von zentraler Bedeutung. Dabei entsteht zunächst den Eindruck, als wäre die Berücksichtigung von Klimarisikoaspekten im Rahmen der Finanzrisikomodellierung ein Kraftakt. Die Notwendigkeit einer wesentlichen Erweiterung der Modelllandschaft und auch der IT-Infrastruktur sind nicht von der Hand zu weisen. In der Praxis jedoch lässt sich in der Regel die Komplexität dieses Prozesses deutlich reduzieren, da aus der Perspektive der Risikosteuerung das erwünschte Ziel die Identifikation von Risikofaktoren und eine Ableitung konkreter Handlungsempfehlungen ist – stets unter Berücksichtigung des eigenen Portfolios und der Risikostrategie. Ein Beispiel hierfür ist die Charakterisierung von Stranded Assets.

Um dieses Ziel in Ihrem Institut zu erreichen, bieten wir von Capgemini Invent uns als Wegbegleiter an. Wir sind in der Lage, den Prozess von der Konzeption bis hin zur Implementierung fachlich wie technisch zu begleiten. Neben unserer breiten fachlichen Expertise im Finanzrisikobereich setzen wir uns verstärkt an der Schnittstelle zu den Bereichen ESG und Sustainability (11) ein. Wir bringen zudem Projekterfahrung aus Bereichen mit, die sich schon seit langer Zeit mit klimabezogenen Themenstellungen auseinandersetzen und sind wir weltweit führend im Bereich der digitalen Transformation.

Vielen Dank an die Co-Autorin Carolin Wittich.

Seien Sie gespannt auf die nächsten Teile unserer Blogserie, in denen wir tiefer in das Thema Klimarisiken im Risikomanagement in Banken einsteigen.

Quellen

1. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. [Online] 1. Januar 2023. https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Gesetze/Wirtschaft/lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.html

2. Deutsche Bank. [Online] 2022. https://www.deutsche-bank.de/pk/sparen-und-anlegen/finanzmarktexpertise/markt-und-meinung/mum-volkswirtschaft/esg-trends-und-herausforderungen.html

3. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Konsultation 06/2022 – Entwurf der MaRisk in der Fassung vom 26.09.2022. [Online] 26. September 2022. https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Konsultation/2022/dl_kon_06_22_MaRisk.pdf?__blob=publicationFile&v=4

4. European Banking Authority. Guidelines on loan origination and monitoring. [Online] 2020. https://www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/document_library/Publications/Guidelines/2020/Guidelines%20on%20loan%20origination%20and%20monitoring/Translations/886677/Final%20Report%20on%20GL%20on%20loan%20origination%20and%20monitoring_COR_DE

5. Banking Supervision. Leitfaden zu Klima- und Umweltrisiken. [Online] 2017. https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.202011finalguideonclimate-relatedandenvironmentalrisks~58213f6564.de.pdf

6. Basel Committee on Banking Supervision. Climate-related risk drivers and their transmission channels. [Online] 14. April 2021. https://www.bis.org/bcbs/publ/d517.htm

7. Sieck, Kevin. The Regional Climate Model REMO. [Online] 2023. https://remo-rcm.de/

8. Masson-Delmotte, V., et al. Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth. United Kingdom and New York, NY, USA : Cambridge University Press, 2021. doi:10.1017/9781009157896

9. Copernicus Climate Change Service. Latest projections of future climate now available. [Online] 21. März 2021. https://climate.copernicus.eu/latest-projections-future-climate-now-available

10. Network for Greening the Financial System. NGFS Scenarios for central banks and supervisors. [Online] September 2022. https://www.ngfs.net/sites/default/files/medias/documents/ngfs_climate_scenarios_for_central_banks_and_supervisors_.pdf.pdf

11. Capgemini Invent. A world in balance. 2022.

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Autor

Marco Meyer

Director | Head of Sustainability @Banking, Capgemini Invent Germany
Marco Meyer ist ein erfahrener Director mit mehr als 7 Jahren Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und hat verschiedene (globale) Projekte in den Bereichen Risk, Regulatory und Data geleitet. Er leitet das Thema Nachhaltigkeit für die Finanzbranche. Seine Themenschwerpunkte sind die nachhaltige Transformation der Finanzbranche, die Konzeption und Umsetzung von ESG-Datenflüssen zur Verwendung in Kreditinstituten, die Zusammenarbeit mit Regulatoren sowie die globale Implementierung von E2E-Prozessen.