Zum Inhalt gehen
Automobilzulieferer-LI-CMS-Banne

Automobilzulieferer: Geschäftsmodelle mit Zukunft

Publish Date: 05/2021

Ein Interview mit Prof. Dr. Andreas Herrmann, Universität St. Gallen

Software, Services und Daten spielen in künftigen Geschäftsmodellen von Zulieferern eine wichtige Rolle. Die besten Chancen werden jene haben, die den Steigbügel für „People Mover“ erwischen, während OEMs sich vor allem auf automatisierte Privat-Pkws konzentrieren werden, so die Prognose von Prof. Andreas Herrmann aus der Universität St. Gallen.

Dilemma für Autozulieferer: KI, Daten, E-Mobilität & Co.

Zwei Entwicklungen sind besonders Schuld an dem wirtschaftlichen Dilemma, das zunehmend auf viele Automobilzulieferer zukommen wird: Zum einen sind das progressive Städte, die die Last des Verkehrs nicht mehr tragen wollen, Emissionen senken und Flächen zurückgewinnen wollen – wie etwa Oslo, Kopenhagen oder Paris. Zum anderen entstehen gerade viele Firmen, die KI- und Datenprofis beschäftigen und nun E-Mobilität und autonomes Fahren zu ihren Kernthemen machen. Damit bilden sie ein Biotop von 15 bis 20 größeren Firmen weltweit, so die Einschätzung von Prof. Andreas Herrmann aus dem Institut für Mobilität der Universität St. Gallen. Dazu gehören Waymo, Mobileye und Nvidia, insgesamt jedoch über 900 Firmen weltweit, die Themen wie KI und Sensorik besetzen.

Digital und datengetrieben: 5 Geschäftsmodelle mit Zukunft

Die Geschäftsmodelle der Zukunft, so viel scheint sicher, haben immer weniger mit Hardware zu tun, dafür umso mehr mit Themen wie Software, Services, Daten und Inhalten, wie Herrmann schon vor zwei Jahren zusammen mit Walter Brenner im Buch Die autonome Revolution beschrieb und was sich in der Praxis immer mehr bestätigt. Klar ist auch: Ein Fahrzeug wird nicht unbedingt das sein, was der Konsument künftig kaufen wird, denn es wird in wenigen Jahren autonome Shuttles, Busse oder andere Fortbewegungsmittel geben, die gesamtheitlich – multimodal – betrachtet werden. Fünf Geschäftsmodelle kristallisieren sich heraus:

1. Software
Eine zentrale Steuerungseinheit kontrolliert als „Gehirn“ im Auto künftig alle Prozesse im Fahrzeug. Sämtliche Navigations- und Telematikdaten laufen hier zusammen. Gerade für den Markt der hochautomatisierten Fahrzeuge wird das Zusammenspiel von Hard- und Software zunehmend wichtig und zum marktentscheidenden Faktor.

2. Services
Sobald 5G flächendeckend zur Verfügung steht, werden immer neue digitale Services im Fahrzeug möglich. Warnungen vor Gefahren, personalisierte Informationen auf Basis des eigenen Fahrverhaltens, Parkplatz-Finder oder Echtzeitinfos über den Zustand des Fahrzeugs: Digitale Services an Bord werden ebenso wichtiger, wie auch Mobilitätsdienstleistungen, die Konsumenten Fahrempfehlungen geben, wie – und mit welchen Verkehrsmitteln – sie am besten von A nach B kommen.

3. Daten
Fahrzeuge werden zu Informations- und Kommunikationsplattformen. Hersteller, Technologiespezialisten und Start-ups nutzen Daten aus dem Fahrzeug, Nutzerverhalten der Passagiere und Fahrbedingungen dazu, neue digitale Services zu entwickeln, die auch über das reine Fahren hinaus gehen.

4. Inhalte
Musik hören, Filme schauen und in sozialen Netzwerken unterwegs sein wird künftig auch im Fahrzeug immer wichtiger – zunächst für die Passagiere, sobald das Fahrzeug autonom unterwegs ist, auch für den Fahrer. Autohersteller werden zum Broker von Informationen ins Fahrzeug.

5. Hardware
Auch künftig wird es nicht-digitale Geschäftsfelder geben. Fahrzeuge, die autonom unterwegs sind, erfordern mehr Platz im Innenraum und eine andere Ausstattung. Chassis, Antriebe und standardisierte Teile für das In- und Exterieur von Fahrzeugen werden auch künftig von Zulieferern erbracht werden.

OEM, bisherige und neue Zulieferer: „Der Markt fällt auseinander“

Was bedeuten die Trends für Zulieferer? „Der Markt fällt auseinander“, meint Herrmann von der Uni St. Gallen. Einerseits werde es große Zulieferer geben, die recht kurzfristig den Markt für People Mover, Shuttles und Robotaxis bedienen werden, für Fahrzeuge, die Personen nutzen, um von A nach B zu kommen, die ihnen aber nicht gehören. Auf der anderen Seite werden die Autohersteller sich auf ein eigenes Premium-Fahrzeug konzentrieren, das erst hochautomatisiert und mittelfristig dazu in der Lage sein wird, autonom zu fahren. „Einsteigen, Ziel eingeben, Sitz nach hinten klappen, schlafen und am Ziel ankommen“, erläutert Herrmann die wesentlichen Aufgaben des künftigen Kerngeschäfts von Autoherstellern – allerdings nicht mehr in der Stadt, sondern nur noch Überland und auf Autobahnen: „Für Metropolen hat das eigene Fahrzeug keine Zukunft mehr“.  Große Zulieferer könnten, so ein Szenario in Brenners und Herrmanns Buch, durch ihre Entwicklungen im Bereich selbstfahrender Autos in Forschung und Entwicklung enge Partner von Autoherstellern bleiben – vor allem im Konglomerat mit anderen Zulieferern. Alternative: Sie spezialisieren sich auf einzelne Bauteile oder Komponenten, die sie zu besonders niedrigen Preisen anbieten und die für autonome Fahrzeuge wichtig sind.

Zwingende Transformation: Zu viele „Einschläge“ auf einmal

Hier liegt auch die Chance für Zulieferer, die nicht die Größe einer Bosch, ZF oder Conti haben. „Ein Unternehmen, das seit Jahren Dichtungsringe für Kolben in gigantischen Stückzahlen produziert hat, wird es schwer haben“, sagt Herrmann, „der E-Motor ist technisch keine große Herausforderung, erfordert erheblich weniger Bauteile als ein Verbrenner und die Batterien kommen aus Asien.“ Besonders spannend wird die Situation allerdings für neue Player, Gründer aus dem Tech-Umfeld und sogar Unternehmen, die bislang nicht unbedingt etwas mit der Autobranche zu tun hatten, aber die neuen Bedürfnisse künftiger Kunden verstehen. Neue Technologien (durch E-Motor), anderes Nutzerverhalten (kein Bedarf mehr, in der Stadt Auto zu fahren oder es zu besitzen) und neue Geschäftsmodelle (siehe oben) – all diese „Einschläge“ fordern den Zulieferermarkt heraus. Für diese Zulieferer wird die Aufgabe darin liegen, wendig genug zu sein, um diesen gravierenden Veränderungen zu begegnen. Wem es dabei gelingt, eine zukunftsfähige Nische zu besetzen, hat gute Chancen, langfristig im Markt erfolgreich zu sein.