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Agile Unternehmenskultur im Mittelstand: 4 Schritte, um in den Flow zu kommen

03/2021

Abschied vom Micromanagement, Optimierung des Manager-zu-Mitarbeiter-Verhältnisses, Etablierung agiler Teams: Es gibt viele Hebel, um gestandenen Mittelständlern auf dem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur zu unterstützen.

Deutlich weniger Umsatz, Schutzmasken als neues Standbein, Personalabbau, Margen auf Tiefstand: Schon ein flüchtiger Blick auf die Schlagzeilen zeigt, wie es aktuell um die Branche der Autozulieferer bestellt ist, in der sich viele Unternehmen jahrelang auf den Verbrennungsmotor konzentriert und nicht ausreichend auf sich schon länger abzeichnende Veränderungen vorbereitet haben. Ein wichtiger Indikator dafür, dass ein Unternehmen nicht schnell genug umdenken kann, ist der Umgang mit der IT. „Da redet die Abteilung für Marketing und Sales manchmal lieber zuerst mit einem Software-as-a-Service-Anbieter als mit der eigenen IT, um eine neue Lösung einzusetzen“, erläutert Armin Haffner, IT-Strategieberater bei Capgemini Invent, das nicht unübliche Phänomen, Softwarelösungen an der IT vorbei im Unternehmen zu implementieren. Kommen Fachbereiche aufgrund des zunehmenden Marktdrucks in hoher Taktung mit neuen Anforderungen auf die IT zu, ist diese schnell überfordert. Das Resultat: Die IT-Abteilung verliert die Kontrolle über die IT. Es entstehen Sicherheitslecks, Daten fließen ungesteuert und auch mit Zugriffen gibt es Probleme, da die „Bypass“-Lösungen nicht sauber in die operativen Prozesse und die bestehende Systemlandschaft eingebunden sind.

Vier Schritte hin zu einer agilen Organisation

Flexibel auf neue Anforderungen reagieren zu können oder zusammen mit den Fachabteilungen neue Geschäftsmodelle auf den Weg zu bringen, gehört zu den wesentlichen Eigenschaften einer zukunftsorientierten IT. Allerdings heißt das für viele Unternehmen auch, sich ein Stück weit neu zu erfinden. Hier vier Schritte, die helfen können, sich für die Zukunft fit zu machen:

Schritt 1: Historie und Unternehmenskultur verstehen

Das IT-Erbe drückt und agiles Arbeiten wird gerade mal in den ersten Projekten ausprobiert. „In der Automobilindustrie liegen Stücklisten von sämtlichen Fahrzeugmodellen vor, die jemals gebaut worden sind – zum Beispiel, um für ältere Fahrzeuge und selbst für einen Oldtimer noch Service und Ersatzteile bieten zu können“, erläutert Haffner eine Besonderheit der Branche. Die entsprechenden Mainframe-Systeme lassen sich also nicht so schnell abschalten. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen in ihren hierarchischen Strukturen feststecken. „Selbst wenn Teams gebildet werden, die in agilen Sprints Lösungen entwickeln, nützt das wenig, wenn ihre Arbeitsergebnisse von einem Linienvorgesetzen freigegeben werden müssen“, meint Haffner, „so führt man das Konzept der Agilität ad absurdum.“ Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen stellt Mitarbeiter ein, die über Erfahrung in agilen Methoden verfügen, um die bestehende hierarchische Kultur zu „brechen“. Doch geben die neuen Mitarbeiter schon nach kurzer Zeit auf, weil ihre Kollegen nicht mitziehen. Die Beispiele zeigen: Ohne die Historie und die Ausgangsposition des Unternehmens für Veränderungen zu berücksichtigen, wird auch ein Wandel hin zu einer agilen Organisation nicht zu machen sein.

Schritt 2: Logik für agile Steuerung entwickeln

„Unternehmen müssen eine klare Logik haben, nach der agile Steuerung funktionieren soll“, rät Capgemini-Berater Haffner. Und die funktioniert so: Um Lösungen implementieren und Produkte entwickeln zu können, braucht ein Unternehmen Ressourcen. Zur Umsetzung eines Kundenmanagementsystems (Lösung) ist eine Plattform (Produkt) erforderlich. Um eine solche Lösung im Unternehmen zum Einsatz zu bringen, passen Mitarbeiter das Produkt an und setzen dafür technische Werkzeuge und Spezialwissen ein (Ressourcen). Soll nun eine neue Lösung entwickelt oder eine bestehende Lösung entsprechend neuer Anforderungen erweitert werden, so werden die verfügbaren Ressourcen flexibel dafür eingesetzt. Dynamisch entstehen je nach Aufgabe agile Teams, die mit Mitarbeitern besetzt werden, welche über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen. Wenn in der Vergangenheit etwa ein Spezialist in einer Abteilung gearbeitet hat, kam es häufig vor, dass er zu großen Teilen auch andere Aufgaben übernommen hat, die in seiner Abteilung anfielen. Diese „Vergeudung von Spezialwissen“ wird nun vermieden. Das Motto: „Trenne das, was jemand tut, von dem Ort, an dem er im Organigramm zu finden ist“, sagt Haffner, der damit ermöglichen will, dass die richtigen Mitarbeiter an der richtigen Stelle ihr Wissen einbringen – in agilen Teams.

Schritt 3: Privilegien aufgeben

Manager, die ihren Status bislang über die Anzahl ihrer Mitarbeiter und das ihnen zur Verfügung stehende Budget definiert haben, werden sich umstellen müssen. Denn in einer hierarchiearmen Organisation haben sie – überspitzt gesagt – „entweder wenige eigene Mitarbeiter und viel Budget“ oder aber „viele Mitarbeiter, aber nur wenig Budget“. Einmal ist es ihre Aufgabe, mit dem Budget, die geeigneten Ressourcen für ein agiles Team zusammenzustellen und so sicherzustellen, dass etwa eine Lösung fertiggestellt wird. Im anderen Fall geht es darum, die Verantwortung für Mitarbeiter zu übernehmen und sie so zu qualifizieren, dass sie geeignet für die anstehenden Aufgaben im Unternehmen sind und genug flexible Kapazität zur Verfügung steht. Die agilen Teams und Mitarbeiter selbst arbeiten dabei eigenverantwortlich.

Schritt 4: Produktorientiert aufstellen

Die Praxis hat gezeigt, dass sich erste Piloten eines agilen und digitalen IT-Operation-Modells in einem halben bis dreiviertel Jahr realisieren lassen, der weitreichende Wandel der Unternehmenskultur hin zu einem agilen Unternehmen jedoch Jahre in Anspruch nehmen kann. Organisatorisch kann das zum Beispiel bedeuten, dass es künftig nur noch zwei Typen von Mitarbeitern gibt – einen Product Owner und ein flexibles Team-Mitglied. Wichtige Nebeneffekte: Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter wächst und es sind weniger Führungskräfte im Unternehmen nötig (das Verhältnis kann sich von etwa 1:7 bis hin zu 1:30 in den Ressourcenpools verändern). Die verbliebenen Führungskräfte werden also auch weniger mit Detailarbeit betraut sein – mehr Verantwortung geht mit weniger Micromanagement einher. Zum anderen ist diese Organisationsform automatisch Output-orientiert, belohnt also etwa Ansätze, die den Umsatz fördern und ergebnisorientiert sind – und nicht jene, die viele Mitarbeiter binden und ein hohes Budget erfordern (Input-orientiert).

Lockdown-sicher werden

Wer jetzt glaubt, die Transformation sei nur ein Thema für gute Zeiten, irrt. Jedenfalls ist das die Erfahrung von Haffner, der aktuell die Hälfte seiner Arbeitszeit mit der Beratung von Autoherstellern und -zulieferern verbringt. „In der Autoindustrie ist zu lange zu wenig passiert – die IT-Abteilungen sind zu langsam und behäbig geworden“, sagt Haffner, „dabei ist es wichtig, die IT so flexibel und agil aufzustellen, dass das Unternehmen immer lieferfähig ist, gerade zu Zeiten der zeitweisen Lockdowns.“