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Virtuelle Governance – Gekommen, um zu bleiben

Markus Cramer
03. Juni 2020
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Großraumbüros, persönlicher Austausch mit den Arbeitskollegen und Entscheidungsträger, die sich regelmäßig in Gremien zusammenfinden – bis vor kurzer Zeit war dies normal für viele Unternehmen.

Diese Arbeitsplatz- und Zusammenarbeitsmodelle verändern sich jedoch nicht erst seit den Auswirkungen der Corona Pandemie tiefgreifend in Unternehmen. Bereits 2019 gaben etwa 43% der Arbeitnehmer in den USA an, Teile ihrer Arbeit von Zuhause zu erledigen (Link zur Quelle). In Europa können vergleichbare Trends beobachtet werden. Virtuelle Zusammenarbeitsmodelle haben dabei positive Effekte wie eine gesteigerte Produktivität von bis zu 43% sowie erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit (Link zur Quelle). Dies darf jedoch nicht dazu führen, die damit einhergehenden Herausforderungen für Führungskräfte zu vernachlässigen.

Die Fähigkeit schnell, gute Entscheidungen (strategische und operative) zu treffen – eine wesentliche Managementaufgabe – ist von virtuellen Zusammenarbeitsmodellen am stärksten betroffen. Insbesondere bei klassischen Matrixorganisationen, allerdings auch in adaptiv geprägten Organisationsmodellen kann der Ausfall physischer Entscheidungsgremien zu spürbaren Verzögerungen bei Investitionsfreigaben, Eskalationen, übergreifenden Entscheidungsbedarfen oder sonstigen Richtungsentscheidungen führen. Die negativen Auswirkungen von ineffizienten oder unklar definierten Governancestrukturen (z.B. lange Entscheidungswege durch umfangreiche Gremienläufe oder eine nicht eindeutig beschriebene Zusammensetzung von Entscheidungsgremien) werden somit durch die Verlagerung ins Home-Office noch stärker zum Vorschein gebracht. Unternehmen sollten deswegen, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der virtuellen Zusammenarbeit, effiziente und unklare Governancestrukturen neu ausgestalten.

Welche Kriterien muss Virtual Governance erfüllen, um langfristig eine erfolgreiche virtuelle Zusammenarbeit zu ermöglichen?

Basierend auf unseren Erfahrungen aus zahlreichen Kundenprojekten, zeichnet sich eine effiziente virtuelle Governance durch folgende vier Kriterien aus: Transparente Verantwortlichkeiten, Verantwortung für Entscheidungen, übergeordnete Entscheidungsbereiche und Befähigung von Entscheidungsträgern. Governancestrukturen, welche diese Kriterien erfüllen, ermöglichen Unternehmen sowohl virtuelle als auch physische Zusammenarbeit effizient zu gestalten.

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Abbildung 1: Erfolgsfaktoren der virtuellen Governance, Capgemini Invent

Transparente Verantwortlichkeiten

Durch die erhöhte physische Distanz, die sich aus der virtuellen Zusammenarbeit ergibt, werden die negativen Effekte von unklaren Verantwortlichkeiten besonders deutlich. In der Folge können Doppelspurigkeiten einfacher entstehen. Zudem kann nicht sichergestellt werden, dass die richtigen Experten für die jeweilige Entscheidung eingebunden werden. Im Endeffekt führt dies zu einer Verlangsamung des Entscheidungsprozesses und zu einer Verringerung der Entscheidungsqualität.

Entscheidungsbefugnisse und -verantwortlichkeiten müssen klar definiert und jederzeit nachvollziehbar sein, sowohl aus dem Home-Office als auch vor Ort im Büro. So können Entscheidungsprozesse merklich effizienter, schneller und qualitativ hochwertig gestaltet werden.

Verantwortung für Entscheidungen

Wir beobachten, dass Entscheidungen oftmals ohne Notwendigkeit (z.B. Entscheidungen innerhalb der definierten Budgetkompetenz) an hierarchisch höhere Gremien delegiert werden. Steuerungsausschüsse verweisen zurück an den Auftraggeber oder das Projektbudget wird durch verschiedene Bereiche freigegeben ohne, dass eine Gesamtkostenverantwortung existiert. Dies sind nur einzelne Beispiele, bei denen die eigentliche Entscheidungsverantwortung von dem Entscheidungsträger entkoppelt wird.

Klar definierte Regeln und Kriterien für Delegation und Eskalation von Entscheidungen sind daher insbesondere in der aktuellen Situation essentiell, allerdings auch in der (neuen) Normalität unumgänglich. Entscheidungsträger werden somit stärker in die Verantwortung genommen, sodass Prozesse schnell durchgeführt werden.

Klar definierte geschäftskritische Entscheidungskategorien

Die Balance zwischen zentralen und dezentralen Entscheidungen stellen Unternehmen traditionell vor Herausforderungen. Insbesondere in virtuellen Zusammenarbeitsmodellen ist es besonders wichtig, für Entscheidungen zu geschäftskritischen Themen, wie Cyber Security oder Data Governance unternehmensweit verbindliche Vorgaben zu treffen.

Geschäftskritische Entscheidungen sollten dabei so schnell wie möglich identifiziert werden. Die ausgewählten Entscheidungen werden dann übergeordnet und zentral getroffen, damit ein einheitliches Vorgehen zu dem Verantwortungsbereich sichergestellt werden kann. Bei diesen Fragestellungen ist es essenziell Experten-Teams zu etablieren, die die Grundlage zu einem professionellen Umgang mit kritischen Geschäftsbereichen legen. Diese interdisziplinären Teams entwickeln die unternehmensweiten Vorgaben und können ggfs. auch in der Verantwortung sein, deren Umsetzung sicherzustellen. Hierbei sollte allerdings darauf geachtet werden, dass nur ausgewählte Entscheidungsbereiche als übergeordnet eingestuft werden, um weiterhin schnell agieren zu können.

Befähigung der Entscheidungsträger

Der wichtigste Hebel, um Flexibilität beizubehalten und die Entscheidungsgeschwindigkeit zu erhöhen, ist jedoch die Prämisse, dass Entscheidungen grundsätzlich dort getroffen werden wo sie anfallen. Oftmals sehen ineffiziente Governancestukturen die Beteiligung von hochrangigen Gremien auch bei operativen Fragestellungen vor. Dies verzögert nicht nur Entscheidungen, sondern verringert oftmals auch die Qualität der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsträger sollten folglich in ihren Rollen befähigt und gestärkt werden, damit schnelle Reaktionen auf den adäquaten Entscheidungsebenen erzielt werden können. Zeitraubende Eskalationen und Delegation können damit genauso wie Verzögerungen durch schwerfällige Gremien reduziert werden. In der Praxis können dafür sowohl Product Owner als auch kleine, mit den jeweils relevanten Entscheidungen besetzte Steuerungsstrukturen mit umfangreicheren Entscheidungskompetenzen ausgestattet werden. Unserer Erfahrung nach stellt die Befähigung dieser Entscheidungsträger den wichtigsten Erfolgsfaktor dar, um auch in der virtuellen Zusammenarbeit flexibel und handlungsfähig zu bleiben.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um effiziente (virtuelle) Governancestrukturen einzuführen

In letzten Jahren ist der Anteil von Unternehmen, die virtuell zusammenarbeiten immer weiter gestiegen, aber vor allem durch die aktuelle Situation sind die meisten Unternehmen gezwungen virtuell Entscheidungen zu treffen. Ebenso wie das Arbeiten aus dem Home-Office sind auch die Anforderungen an eine Governance für die virtuelle Zusammenarbeit gekommen, um zu bleiben. Die wichtigen Stellhebel, die notwendig für eine erfolgreiche Virtual Governance sind, sollten also am besten jetzt angegangen werden, um zu vermeiden, dass die virtuelle Zusammenarbeit wichtige Richtungsentscheide und Investitionsvorhaben verzögert.

Damit (virtuelle) Governancestukturen langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit ermöglichen, sollten diese optimal an das Organisationsmodell des Unternehmens angepasst sein. Um dies zu ermöglichen verwenden wir unseren Ansatz der Minimum Virtual Organization, bei dem wir maßgeschneiderte Organisationsmodelle im virtuellen Kontext mit unseren Kunden entwerfen und implemetieren.

Herzlichen Dank an die Autoren Christoph Müller, René Fleischer, Kristin Lüdecke und Yannick Büchting.

Lesen Sie zu diesem Thema auch unseren Blogartikel „Die ‚Minimal Virtual Organisation‘ – eine positive Entwicklung aus der aktuellen Krise“.

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Autor

Markus Cramer

Vice President | Growth Strategy & Future Organization, Capgemini Invent Germany
Ich unterstütze Kunden im Organisations- und Operating Model Design, bei der Gestaltung von Governance- und Zusammenarbeitsmodellen sowie in klassischen Restrukturierungsfragestellungen.

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