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The New Normal – Wie wird die Welt nach der Krise aussehen?

Jens Hofmeister
09. März 2020
capgemini-invent

Unternehmen und Märkte reagieren stark und mit Sorge auf das Coronavirus. Es überrascht nicht, dass Aktienkurse fallen und Lieferketten erheblich gestört werden.

Dies sind unmittelbare geschäftliche Implikationen mit denen Unternehmen umgehen müssen. Aber was kommt als Nächstes? Was passiert danach? Wie wird sich die Welt verändern und wie können wir gestärkt aus der Krise hervorgehen?

„The New Normal“ – „Die neue Normalität“

Wir befinden uns in Zeiten einer unvorhersebaren Krise und die strategische Frage, die sich Unternehmen jetzt stellen müssen ist: „Was kommt als Nächstes und wie wird die Welt nach dem Coronavirus aussehen?“ Im Gespräch mit meinem Kollegen Tian, stellte er die Frage nach der „neuen Normaliät“:

Was ist, wenn die Welt nach diesem anfänglichen Ausbruch von Veränderungen und Disruption, mit Märkten, Unternehmen und Menschen in der Krise, ihr neues Gleichgewicht irgendwo anders findet als vor der Krise? Und vielleicht noch tückischer: Welche grundlegenden Veränderungen treten im Hintergrund auf?

Die letzte große Krise war der Finanzcrash von 2007/8, der sich ähnlich auf den Aktienmarkt auswirkte und in der breiten Bevölkerung ein ähnliches Maß an Angst auslöste. Eine der Folgen, die sich im Vereinigten Königreich abzeichnete war eine Veränderung des Konsumentenverhaltens. In der Zeit vor der Krise war die Supermarktkette Aldi, bekannt für ihre niedrigen Preise, in das Vereinigte Königreich eingetreten. Aldi erlangte 1990 wenig Aufsehen und hatte bei der britischen Kundschaft zu Beginn wenig Erfolg.

Mit nur 20% Kundenanteil der reicheren Bevölkerung (Gruppe ABC1) wurde Aldi zunächst unterschätzt und abgelehnt. Die Marke wurde als billiges Produkt mit geringer Auswahl und durchschnittlicher Qualität wahrgenommen. Doch während der Krise änderte sich dies drastisch, sodass Ende 2008 der Anteil der ABC1 Kunden 50 % der Aldi-Kunden ausmachte und das Geschäft um 25 % gewachsen war. Dieses Wachstum setzte sich fort, sodass das Unternehmen im vergangenen Jahr einen Umsatzanstieg von 10% verzeichnete, womit das Unternehmen in die Top 4 vordrang.

Die Finanzkrise hatte das ursprüngliche Einkaufsverhalten der britischen Verbraucher, nämlich vornehmlich in einem einzigen Geschäft einzukaufen, in ein anderes umgewandelt: Um die besten Angebote zu erhalten, begannen die Kunden gleich mehrere Geschäfte zu nutzen, insbesondere auch bei Aldi einzukaufen. In der gleichen Zeit fiel der Aktienkurs der Supermarktkette Tesco von einem Höchststand von 479 Pfund Ende November 2007 auf etwa 192 Pfund zehn Jahre später. Dies ist ein klassisches Beispiel von Kunden, die in Krisenzeiten bestehenden Verhaltensmuster ändern und danach neue Gewohnheiten entwickeln, die auch nach der Krise bestehen bleiben.

Supermärkte unterteilen ihr Sortiment typischerweise in online und offline Produkte. Grundnahrungmittel wie Nudeln, Konserven oder Toilettenpapier werden für gewöhnlich eher online gekauft als Produkte, die Kunden „erleben“ also anfassen, sehen und riechen möchten und daher häufiger offline gekauft werden. Aktuell erleben wir in China eine Verdreifachung der Online-Käufe von gerade den Produkten, die normalerweise im Laden eingekauft werden: Meeresfrüchte, frisches Obst und Gemüse – was, wenn dies zur „Neuen Normalität“ wird?

Die offensichtlichste Veränderung, die wir erleben, ist die Verlagerung hin zum Online-Kauf und zu Remote-Access-Modellen. Neben der Lebensmittel-Einkäufe ist in China auch ein Anstieg der Online-Suche und des Online-Kaufs von Fahrzeugen zu beobachten. Wenn dieser Komfort, angestoßen durch die aktuelle Krise, zur neuen Normalität wird, was bedeutet das dann für den Einzelhandel? Wie mein Kollege Tian hervorhebt, könnten bestimmte Erlebnisse und Begegnungen, die einst durch eine persönliche Note geprägt waren und als „Luxus“ galten, bald unerwünscht sein: Werden die Menschen eine Stunde lang in einem Geschäft mit hohem Kontaktaufwand betreut werden wollen? Wird die bestehende Denkweise, dass „die Zeit im Geschäft proportional zum Umsatz“ ist, noch Bestand haben?

Eine Sichtweise ist es, dass jeder Prozess, den der Konsument aus der Ferne (remote) durchführen kann, in Zeiten der Krise auch remote durchführt. Für die Unternehmen stellt sich die Frage, ob die Kunden, nachdem sie sich an die neuen Prozesse gewöhnt haben, jemals zu alten Verhaltensweisen zurückkehren werden?

Dies war zum Beispiel die Folge der Ölkrise in den 1970er Jahren. Shell hatte im Vorfeld eine Reihe verschiedener Zukunftsszenarien durchgespielt. Als die Krise kam und die Ölpreise in die Höhe schossen, identifizierte das Unternehmen ein Szenario, mit dem sie sich bereits gedanklich auseinandergesetzt hatten: Eine neue Normalität hoher Preise. Shell erkannte diese Möglichkeit schnell, während andere Ölgesellschaften Jahre für die Anpassung brauchten, weil sie darauf warteten, dass sich der Markt wieder normalisierte. Dies half dem Unternehmen, die Volatilität der 1970er Jahre zu überstehen. Außerdem brachte es dem Unternehmen finanzielle Gewinne in Milliardenhöhe durch Neukonfiguration oder Verkauf von Raffinerien und Anlagen oder durch Entscheidungen, diese nicht zu ersetzen.

Grundlegende Verschiebungen sind schwer vorhersehbar, weil sie außerhalb des alltäglichen Rahmens des Unternehmens liegen. Sogar Shell wird Ihnen sagen, dass die Antizipation des Szenarios wirklich stark war, aber eine Organisation so umzustellen, dass sie entsprechend flexibel agiert, schwierig ist.

Aus unserer Erfahrung sind vier Aspekte zu berücksichtigen:

Wie wir damit umgehen können

Dies war zum Beispiel die Folge der Ölkrise in den 1970er Jahren. Shell hatte im Vorfeld eine Reihe verschiedener Zukunftsszenarien durchgespielt. Als die Krise kam und die Ölpreise in die Höhe schossen, identifizierte das Unternehmen ein Szenario, mit dem sie sich bereits gedanklich auseinandergesetzt hatten: Eine neue Normalität hoher Preise. Shell erkannte diese Möglichkeit schnell, während andere Ölgesellschaften Jahre für die Anpassung brauchten, weil sie darauf warteten, dass sich der Markt wieder normalisierte. Dies half dem Unternehmen, die Volatilität der 1970er Jahre zu überstehen. Außerdem brachte es dem Unternehmen finanzielle Gewinne in Milliardenhöhe durch Neukonfiguration oder Verkauf von Raffinerien und Anlagen oder durch Entscheidungen, diese nicht zu ersetzen.

Grundlegende Verschiebungen sind schwer vorhersehbar, weil sie außerhalb des alltäglichen Rahmens des Unternehmens liegen. Sogar Shell wird Ihnen sagen, dass die Antizipation des Szenarios wirklich stark war, aber eine Organisation so umzustellen, dass sie entsprechend flexibel agiert, schwierig ist.

Aus unserer Erfahrung sind vier Aspekte zu berücksichtigen:

1. Erkennen Sie die Zeit des Wandels nach der Krise und bereiten Sie sich darauf vor

Neue, vorübergehende Verhaltensweisen der Konsumenten während dieser Zeit können irreführend sein, weil sie gegebenenfalls nichts anderes als eine unmittelbare aber temporäre Reaktion darstellen. Sie sind möglicherweise keine guten Indikatoren für eine „neue Normalität“ oder signalisieren die Rückkehr zum alten Gleichgewicht.

Die Dauer dieses Zeitraums hängt von der Kadenz der Unternehmenen und des Marktes ab. You get what you measure – seien Sie sich bewusst: Zuvor strategisch fundierte Definitionen und Ziele des Erfolgs auf einen veränderten Markt anzuwenden birgt neben Chancen auch Versuchungen und Gefahren.

2. Verschaffen Sie sich einen Gesamtüberblick

Wie der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Schelling sagte: „Eine Sache, die ein Mensch nicht tun kann, egal wie gründlich seine Analyse oder grenzenlos seine Vorstellungskraft ist, ist eine Liste von Dingen aufzustellen, die ihm nie in den Sinn kämen“.

Für Unternehmen ist es herausfordernd sich eine neue Normalität vorzustellen, die auf neuen Perspektiven beruht. Eine Möglichkeit ist zu identifizieren, welche externen „Stimuli“ das Unternehmen beeinflussen. Um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, wie die Dinge ganz anders aussehen könnten, müssen Unternehmen die geschäftliche Perspektive verlassen und den Blickwinkel des Kunden einnehmen.

3. Gehen Sie zurück zum ursprünglichen Sinn und verstehen Sie Ihren eigentlichen Job

Die meisten Unternehmen hatten ihr Erfolgsgeheimnis vor vielen Jahren schon einmal gefunden, nur um es dann zu vergessen – egal, das Produkt verkauft sich ja! Beschäftigen Sie sich wieder mit dem ursprünglichen Sinn Ihres Geschäfts und entwickeln Sie erneut ein Verständnis dafür, welche Arbeit sie tagtäglich ausführen. Dies lässt sie identifizieren wo Ihre Schwachstellen sind und welche die Auslöser bzw. Indikatoren für eine Veränderung sein können.

Unternehmen, die sich lediglich auf ihre Produkte und deren Verkauf fokussieren, leiden an Marketing-Myopie (Marketing-Kurzsichtigkeit). Um das zu vermeiden sollten sie sich stattdessen am Markt orientieren und auf die neuartige Bedürfnisse eingehen, um langfristig relevant zu bleiben.

In Zeiten der Krise werden Kunden offener und begeben sich auf die Suche nach Alternativen zu ihrem bisherigen Konsumentenverhalten. Diese Möglichkeiten haben sich vielleicht immer schon angeboten und waren aus verschiedenen Gründen auch schon immer komfortabeler, aber die Trägheit der Konsumenten ihr Verhalten zu ändern hat einen Wechsel verhindert. Für Unternehmen stellt sich die Frage, ob das Produkt und die Möglichkeiten, die es bietet und die Trägheit (die sich hinter stabilen Verkaufszahlen verbirgt) fragile Gleichgewichtspunkte sind. Gehen Sie einen Schritt zurück und betrachten Sie die eigentliche Aufgabe Ihres Unternehmens. Suchen Sie nach Alternativen, wie Sie diese Aufgabe angehen können und passen Sie daraufhin Ihre Metriken maßgeschneidert an diese Aufgabe an.

4. Bereinigen Sie Ihre Weitsicht

Für diejenigen, die über eine gut entwickelte Fähigkeit der Weitsicht verfügen, ist jetzt der ideale Zeitpunkt, diese Szenarien und Möglichkeiten in Anbetracht der Veränderungen zu überdenken. Was bisher unmöglich schien, ist vielleicht jetzt möglich. Vielleicht ist jetzt eine gute Zeit zum Ausprobieren und Lernen? Zu diesem Zeitpunkt sollten die Unternehmen an Sonden (Angebote, die schnell Einblicke in Kundenverhalten gewähren) ebenso interessiert sein wie an Produkten (Angebote zur Steigerung der Einnahmen).

Für Organisationen, die mit vorausschauenden Ansätzen weniger vertraut sind, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, sich reichlich Zeit zum Nachdenken zu nehmen und die wichtigsten Veränderungen in ihrem Umfeld zu betrachten. Die Mechanismen, die ihr Unternehmen aktuell bestimmen, können sich jederzeit ändern. Schaffen Sie Bewusstsein und erstellen Sie sich eine Art Spielbrett das die Neue Normalität, verschiedene Szenarien und ihre Gedanken dazu abbildet. Sobald unvorhersehbare Dinge geschehen, halten Sie sich Ihr Spielbrett vor Augen um schnell Entscheidungen zu treffen. Sie nutzen damit eine Arbeitsweise, die Ihnen helfen wird flexibel neue Möglichkeiten zu erkennen und Ihr bisheriges Angebot gezielt und schnell neu zu gestalten.

Vielen Dank an die Co-Autoren Tobias Rooney (Commerial Director, Fahrenheit212) & Tian Zhang (Managing Consultant Insights & Data Advisory, Capgemini)

Autor

Jens Hofmeister

Jens ist Leiter von Fahrenheit 212 Mitteleuropa. Er arbeitet eng mit Kollegen aus unserer Designmarke IDEAN und mehreren Start-ups zusammen, um Innovationsprojekte für Top-Kunden zu fördern und damit neue gewinnbringende Geschäftsprozesse zu generieren. Jens ist der festen Überzeugung, dass die meisten Innovationsprojekte scheitern, weil Unternehmen nicht genug Aufmerksamkeit auf organisatorische Veränderungen verwenden, um Innovationen endlich zu verwirklichen.

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