Zum Inhalt gehen

Digitale Produktionssysteme: oder der bisher unerfüllte Traum der Industrie 4.0

Lukas Birn
08. Dez. 2020

Die Digitale Transformation unter dem Schlagwort Industrie 4.0 birgt viele Versprechen, die bisher in der Praxis leider viel zu selten erfüllt werden konnten.

Innovationsbegriffe wie Predictive Maintenance oder Worker Augmentation sind häufig nur in Nischenanwendungen umgesetzt. Diese stellen isolierte Verbesserungen dar, tragen aber nur unwesentlich zum Geschäftserfolg im größeren Maßstab bei. Was sind die Gründe hierfür? Wie kann die Digitalisierung des Produktionssystems einen substantiellen Beitrag leisten?

Das Problem ist nicht technologischer Natur

Unsere Gesprächspartner in der Produktion sehen sich meist technologisch auf der Höhe der Zeit. Themen wie Cloud und Edge werden aktiv umgesetzt. Zwar sehen sie in ihren Organisationen bisweilen Defizite, betrachten diese aber im Wesentlichen als zukunftsfähig. Die geistige Haltung (Mindset) der Mitarbeitenden und die Unternehmenskultur wird jedoch in fast allen Gesprächen als großes Hemmnis beschrieben. Die am meisten genannten Defizite in unseren Gesprächen sind: Zusammenarbeit und Verantwortungsübernahme. Diese werden als ausbaufähig bis hin zu dysfunktional beschrieben. Grundsätzliche Verhaltensänderungen werden als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg jenseits einzelner Pilotanwendungen gesehen.

Mitarbeitende in Instandhaltung und Produktion haben unterschiedliche Ziele

Wie jedoch kann diese Änderung bewirkt werden? Bekanntlich ist das Verhalten stark von der Struktur geprägt. Ohne strukturelle Änderungen bleibt also Verhaltensänderung ein unerfüllter Wunsch. Wie können diese Änderungen in der Produktion aussehen? Wie wird mit der hohen Beharrungsdichte infolge der physischen Realität (Fabriken, Maschinen, Produkte etc.) umgegangen? Wir sehen als wesentlichen Schlüssel zum Erfolg die Anpassung der Zielvorgaben der beteiligten Akteure.

Diese sind häufig gar nicht, mangelhaft oder gar widersprüchlich formuliert. Die Kolleginnen und Kollegen der Instandhaltung werden an der Prozessstabilität gemessen und sehen sich daher als „Bewahrer“. Produktionsmitarbeitende hingegen müssen permanent Wege finden, kurzfristige Störungen zu kompensieren und mittelfristige Produktivitätspotenziale zu heben. Dieser Zielkonflikt führt zu mehr oder weniger offen ausgetragenen Konflikten.

Der Wert der Daten bleibt unterschätzt

Wir leben in einer Zeit, in welcher Daten eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Vermarktung von Daten ist ein wichtiges Wachstumsfeld, der Absatz physischer Produkte wird jedoch weiterhin eine hohe Relevanz behalten. Allerdings finden intern immer noch zu wenig intelligente Kombinationen zwischen Daten und Produkten statt. Wir sehen häufig eher restriktive Verhaltensweisen: Daten werden nur widerwillig geteilt und der Wert der Daten ist unbekannt oder wird systematisch unterschätzt. Wie könnte der Wert der Daten transparent gemacht werden?

Wo sind die Daten-Champions?

Wir erleben aktuell einen Nachfrage-dominierten Markt. Dieser Mechanismus kann auch in den Unternehmen genutzt werden. Jeder Unternehmensbereich sollte dabei formulieren, mit welchen Daten er eine signifikante Verbesserung seiner Prozesse erzielen könnte. Die Produktion könnte also z.B. zielgerichtet formulieren, welchen Wert genaue Aussagen über die Ausfallwahrscheinlichkeit einzelner Maschinen für sie darstellen. Und die Instandhaltung könnte definieren, welchen Wert zuverlässigere Aussagen über Wartungszeitfenster für sie haben. Mit diesen Informationen haben digitale Verbesserungsmaßnahmen einen besseren wirtschaftlichen Effekt, da sie nachfrageorientiert umgesetzt werden. Wir legen damit den Fokus auf den Wertstrom der Daten: Welche Bereiche erzeugen den höchsten Beitrag im Unternehmen. Wo sind die Daten-Champions?

Weg vom Bauchgefühl hin zum digitalisierten Erkenntnisgewinn

Diese nachfragegetriebene Steuerung könnte auch dem Prozess des Erkenntnisgewinns neuen Schub geben. Wir vermissen in vielen Unternehmen den Drang, Digitalisierung auch hierfür einzusetzen. Statt Fakten mit digitalen Methoden systematisch zu erfassen, wird sich viel zu häufig auf das Bauchgefühl der Experten verlassen. Dies ist aber in einer immer komplexer werdenden Produktionswelt und der damit einhergehenden Reduktion von Erfahrungswissen immer seltener eine erfolgsversprechende Strategie. Digitalisierung sollte also zum Beispiel eingesetzt werden, um mittels analytischer oder KI-Verfahren überprüfbare Fakten in komplexen Situationen zu erzeugen. Diese sind dann die Grundlage für weiterführende Maßnahmen. Ein noch nachhaltigerer Effekt lässt sich erzielen, wenn die Digitalisierung dafür genutzt wird, die Verbesserungen prozessaufwärts („upstream“) zu suchen und dort zu etablieren: Es werden dann nicht nur die Symptome erkannt und eventuell geheilt. Vielmehr dient inhärente Geschwindigkeit und Kosteneffizienz der Digitalisierung dazu, effizient zu den eigentlichen Ursachen vorzustoßen und diese dauerhaft zu beheben.

Mit der Wertstromanalyse der Daten zum Erfolg

Eine erfolgreiche Digitalisierung des Produktionssystems setzt Verhaltensänderungen voraus. Die Akteure der Produktion müssen dabei ihre eigenen Vorteile erkennen und nutzen können. Die Transparenz der Wertstromanalyse, angewendet auf Daten, unterstützt diesen Transformationsprozess. Welche Datenwertströme sind für Sie besonders relevant?

Blog-Updates per Mail?

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle zwei Monate eine Auswahl der besten Blogartikel.

Autor

Lukas Birn

Vice President | Sustainability Lead bei Capgemini in Deutschland
Lukas Birn unterstützt mit seiner langjährigen Industrieerfahrung insbesondere Produktionsunternehmen bei ihrer Transformation zur Erreichung des 1,5°C Ziels. Als Sustainability Lead Germany koordiniert er alle Nachhaltigkeitsaktivitäten auf dem deutschen Markt und verantwortet das Climate Action Execution Portfolio Capgemini.

    Weitere Blogposts